Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Momente des Abfalls. der Humanisten zu dieser Partei: noch waren keine Spal-tungen in ihnen ausgebrochen: das literarische Publicum sah in Luthers Sache seine eigene. Und schon hatte man begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be- wegung heran zu ziehen. Hutten wußte sehr wohl, was es zu bedeuten hatte, daß er deutsch schrieb. "Latein habe ich früher geschrieben," sagt er, "was nicht ein Jeder ver- standen, jetzt rufe ich das Vaterland an." Das ganze Sündenregister der römischen Curie, das er schon öfter zur Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der Gesichtspuncte Luthers der Nation in deutschen Reimen vor. 1 Er gab sich der Hofnung hin, daß die Erlösung nahe sey: er verhehlte nicht, daß es im schlimmsten Fall die Schwerder und Hallbarden so vieler tapfern Helden seyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigsten Entwürfe auf. Die einen fassen vor allem das Verhält- niß der deutschen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand soll künftig eine Würde besitzen, der nicht dem Volke in deut- scher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpst- lichen Monate, Accesse, Regresse, Reservationen, und es versteht sich von selbst die Annaten sollen aufgehoben seyn; kein römischer Bann soll in Deutschland etwas gelten; ein Concilium in Deutschland soll immer erst bestimmen, ob ei- nem Breve zu gehorchen sey oder nicht; die einheimischen Bischöfe sollen allenthalben der päpstlichen Gewalt entge- gentreten. 2 Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor- 1 Klage und Vermanung gegen die ungeistlichen Geistlichen. 2 Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Römischen Reichs
und der ganzen deutschen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am Momente des Abfalls. der Humaniſten zu dieſer Partei: noch waren keine Spal-tungen in ihnen ausgebrochen: das literariſche Publicum ſah in Luthers Sache ſeine eigene. Und ſchon hatte man begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be- wegung heran zu ziehen. Hutten wußte ſehr wohl, was es zu bedeuten hatte, daß er deutſch ſchrieb. „Latein habe ich früher geſchrieben,“ ſagt er, „was nicht ein Jeder ver- ſtanden, jetzt rufe ich das Vaterland an.“ Das ganze Sündenregiſter der römiſchen Curie, das er ſchon öfter zur Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der Geſichtspuncte Luthers der Nation in deutſchen Reimen vor. 1 Er gab ſich der Hofnung hin, daß die Erlöſung nahe ſey: er verhehlte nicht, daß es im ſchlimmſten Fall die Schwerder und Hallbarden ſo vieler tapfern Helden ſeyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigſten Entwürfe auf. Die einen faſſen vor allem das Verhält- niß der deutſchen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand ſoll künftig eine Würde beſitzen, der nicht dem Volke in deut- ſcher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpſt- lichen Monate, Acceſſe, Regreſſe, Reſervationen, und es verſteht ſich von ſelbſt die Annaten ſollen aufgehoben ſeyn; kein römiſcher Bann ſoll in Deutſchland etwas gelten; ein Concilium in Deutſchland ſoll immer erſt beſtimmen, ob ei- nem Breve zu gehorchen ſey oder nicht; die einheimiſchen Biſchöfe ſollen allenthalben der päpſtlichen Gewalt entge- gentreten. 2 Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor- 1 Klage und Vermanung gegen die ungeiſtlichen Geiſtlichen. 2 Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Roͤmiſchen Reichs
und der ganzen deutſchen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0463" n="445"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Momente des Abfalls</hi>.</fw><lb/> der Humaniſten zu dieſer Partei: noch waren keine Spal-<lb/> tungen in ihnen ausgebrochen: das literariſche Publicum<lb/> ſah in Luthers Sache ſeine eigene. Und ſchon hatte man<lb/> begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be-<lb/> wegung heran zu ziehen. Hutten wußte ſehr wohl, was<lb/> es zu bedeuten hatte, daß er deutſch ſchrieb. „Latein habe<lb/> ich früher geſchrieben,“ ſagt er, „was nicht ein Jeder ver-<lb/> ſtanden, jetzt rufe ich das Vaterland an.“ Das ganze<lb/> Sündenregiſter der römiſchen Curie, das er ſchon öfter zur<lb/> Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der<lb/> Geſichtspuncte Luthers der Nation in deutſchen Reimen<lb/> vor. <note place="foot" n="1">Klage und Vermanung gegen die ungeiſtlichen Geiſtlichen.</note> Er gab ſich der Hofnung hin, daß die Erlöſung<lb/> nahe ſey: er verhehlte nicht, daß es im ſchlimmſten Fall<lb/> die Schwerder und Hallbarden ſo vieler tapfern Helden<lb/> ſeyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache<lb/> vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigſten<lb/> Entwürfe auf. Die einen faſſen vor allem das Verhält-<lb/> niß der deutſchen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand ſoll<lb/> künftig eine Würde beſitzen, der nicht dem Volke in deut-<lb/> ſcher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpſt-<lb/> lichen Monate, Acceſſe, Regreſſe, Reſervationen, und es<lb/> verſteht ſich von ſelbſt die Annaten ſollen aufgehoben ſeyn;<lb/> kein römiſcher Bann ſoll in Deutſchland etwas gelten; ein<lb/> Concilium in Deutſchland ſoll immer erſt beſtimmen, ob ei-<lb/> nem Breve zu gehorchen ſey oder nicht; die einheimiſchen<lb/> Biſchöfe ſollen allenthalben der päpſtlichen Gewalt entge-<lb/> gentreten. <note xml:id="seg2pn_39_1" next="#seg2pn_39_2" place="foot" n="2">Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Roͤmiſchen Reichs<lb/> und der ganzen deutſchen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am</note> Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [445/0463]
Momente des Abfalls.
der Humaniſten zu dieſer Partei: noch waren keine Spal-
tungen in ihnen ausgebrochen: das literariſche Publicum
ſah in Luthers Sache ſeine eigene. Und ſchon hatte man
begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be-
wegung heran zu ziehen. Hutten wußte ſehr wohl, was
es zu bedeuten hatte, daß er deutſch ſchrieb. „Latein habe
ich früher geſchrieben,“ ſagt er, „was nicht ein Jeder ver-
ſtanden, jetzt rufe ich das Vaterland an.“ Das ganze
Sündenregiſter der römiſchen Curie, das er ſchon öfter zur
Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der
Geſichtspuncte Luthers der Nation in deutſchen Reimen
vor. 1 Er gab ſich der Hofnung hin, daß die Erlöſung
nahe ſey: er verhehlte nicht, daß es im ſchlimmſten Fall
die Schwerder und Hallbarden ſo vieler tapfern Helden
ſeyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache
vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigſten
Entwürfe auf. Die einen faſſen vor allem das Verhält-
niß der deutſchen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand ſoll
künftig eine Würde beſitzen, der nicht dem Volke in deut-
ſcher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpſt-
lichen Monate, Acceſſe, Regreſſe, Reſervationen, und es
verſteht ſich von ſelbſt die Annaten ſollen aufgehoben ſeyn;
kein römiſcher Bann ſoll in Deutſchland etwas gelten; ein
Concilium in Deutſchland ſoll immer erſt beſtimmen, ob ei-
nem Breve zu gehorchen ſey oder nicht; die einheimiſchen
Biſchöfe ſollen allenthalben der päpſtlichen Gewalt entge-
gentreten. 2 Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor-
1 Klage und Vermanung gegen die ungeiſtlichen Geiſtlichen.
2 Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Roͤmiſchen Reichs
und der ganzen deutſchen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am
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