Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Drittes Capitel.
er sagt, sie wünschten nur der canonistischen Studien über-
hoben zu werden: da kannte er die deutschen Gelehrten
schlecht: ein ganz andres Motiv war die lästige Compe-
tenz zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten, über welche
auf so viel Landtagen, so viel Reichsversammlungen Klage
geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren
des römischen Hofes erhob sich eine scharfe Critik aus dem
Gesichtspunct des deutschen Staatsrechts: ein kaiserlicher
Rath, Hieronymus von Endorf sah es als einen Eingriff
der geistlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Papst
die Anordnungen seiner Bulle einschärfte "bei dem Makel
des Verbrechens der beleidigten Majestät, bei Verlust der
Erbrechte und Lehen:" er rief den Kaiser auf, das nicht
zu dulden. 1 Aleander fand aber nicht allein die Rechts-
gelehrten, sondern auch den Clerus wanken: namentlich die
niedere Geistlichkeit, welche den Druck der hierarchischen
Gewalten auch ihrerseits nicht wenig empfand: er ur-
theilte, in allen deutschen Ländern gebe sie den Lehren
Luthers Beifall. 2 Es entgieng ihm nicht, daß auch die
Orden von denselben ergriffen waren. Bei den Augu-
stinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die
Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei
andern Opposition gegen die Herrschaft der Dominicaner;
wie hätte es anders seyn können, als daß sich in gar
manchem unfreiwilligen Klosterbruder unter diesen Umstän-
den die Hofnung und der Wunsch regte, sich seiner Fes-
seln zu entledigen. Ganz von selbst gehörten die Schulen

1 An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet-
richstein. Walch XV, 1902.
2 Auszüge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini.

Zweites Buch. Drittes Capitel.
er ſagt, ſie wünſchten nur der canoniſtiſchen Studien über-
hoben zu werden: da kannte er die deutſchen Gelehrten
ſchlecht: ein ganz andres Motiv war die läſtige Compe-
tenz zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Gerichten, über welche
auf ſo viel Landtagen, ſo viel Reichsverſammlungen Klage
geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren
des römiſchen Hofes erhob ſich eine ſcharfe Critik aus dem
Geſichtspunct des deutſchen Staatsrechts: ein kaiſerlicher
Rath, Hieronymus von Endorf ſah es als einen Eingriff
der geiſtlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Papſt
die Anordnungen ſeiner Bulle einſchärfte „bei dem Makel
des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, bei Verluſt der
Erbrechte und Lehen:“ er rief den Kaiſer auf, das nicht
zu dulden. 1 Aleander fand aber nicht allein die Rechts-
gelehrten, ſondern auch den Clerus wanken: namentlich die
niedere Geiſtlichkeit, welche den Druck der hierarchiſchen
Gewalten auch ihrerſeits nicht wenig empfand: er ur-
theilte, in allen deutſchen Ländern gebe ſie den Lehren
Luthers Beifall. 2 Es entgieng ihm nicht, daß auch die
Orden von denſelben ergriffen waren. Bei den Augu-
ſtinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die
Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei
andern Oppoſition gegen die Herrſchaft der Dominicaner;
wie hätte es anders ſeyn können, als daß ſich in gar
manchem unfreiwilligen Kloſterbruder unter dieſen Umſtän-
den die Hofnung und der Wunſch regte, ſich ſeiner Feſ-
ſeln zu entledigen. Ganz von ſelbſt gehörten die Schulen

1 An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet-
richſtein. Walch XV, 1902.
2 Auszuͤge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0462" n="444"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
er &#x017F;agt, &#x017F;ie wün&#x017F;chten nur der canoni&#x017F;ti&#x017F;chen Studien über-<lb/>
hoben zu werden: da kannte er die deut&#x017F;chen Gelehrten<lb/>
&#x017F;chlecht: ein ganz andres Motiv war die lä&#x017F;tige Compe-<lb/>
tenz zwi&#x017F;chen gei&#x017F;tlichen und weltlichen Gerichten, über welche<lb/>
auf &#x017F;o viel Landtagen, &#x017F;o viel Reichsver&#x017F;ammlungen Klage<lb/>
geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren<lb/>
des römi&#x017F;chen Hofes erhob &#x017F;ich eine &#x017F;charfe Critik aus dem<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunct des deut&#x017F;chen Staatsrechts: ein kai&#x017F;erlicher<lb/>
Rath, Hieronymus von Endorf &#x017F;ah es als einen Eingriff<lb/>
der gei&#x017F;tlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Pap&#x017F;t<lb/>
die Anordnungen &#x017F;einer Bulle ein&#x017F;chärfte &#x201E;bei dem Makel<lb/>
des Verbrechens der beleidigten Maje&#x017F;tät, bei Verlu&#x017F;t der<lb/>
Erbrechte und Lehen:&#x201C; er rief den Kai&#x017F;er auf, das nicht<lb/>
zu dulden. <note place="foot" n="1">An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet-<lb/>
rich&#x017F;tein. Walch <hi rendition="#aq">XV,</hi> 1902.</note> Aleander fand aber nicht allein die Rechts-<lb/>
gelehrten, &#x017F;ondern auch den Clerus wanken: namentlich die<lb/>
niedere Gei&#x017F;tlichkeit, welche den Druck der hierarchi&#x017F;chen<lb/>
Gewalten auch ihrer&#x017F;eits nicht wenig empfand: er ur-<lb/>
theilte, in allen deut&#x017F;chen Ländern gebe &#x017F;ie den Lehren<lb/>
Luthers Beifall. <note place="foot" n="2">Auszu&#x0364;ge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini.</note> Es entgieng ihm nicht, daß auch die<lb/>
Orden von den&#x017F;elben ergriffen waren. Bei den Augu-<lb/>
&#x017F;tinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die<lb/>
Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei<lb/>
andern Oppo&#x017F;ition gegen die Herr&#x017F;chaft der Dominicaner;<lb/>
wie hätte es anders &#x017F;eyn können, als daß &#x017F;ich in gar<lb/>
manchem unfreiwilligen Klo&#x017F;terbruder unter die&#x017F;en Um&#x017F;tän-<lb/>
den die Hofnung und der Wun&#x017F;ch regte, &#x017F;ich &#x017F;einer Fe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eln zu entledigen. Ganz von &#x017F;elb&#x017F;t gehörten die Schulen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0462] Zweites Buch. Drittes Capitel. er ſagt, ſie wünſchten nur der canoniſtiſchen Studien über- hoben zu werden: da kannte er die deutſchen Gelehrten ſchlecht: ein ganz andres Motiv war die läſtige Compe- tenz zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Gerichten, über welche auf ſo viel Landtagen, ſo viel Reichsverſammlungen Klage geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren des römiſchen Hofes erhob ſich eine ſcharfe Critik aus dem Geſichtspunct des deutſchen Staatsrechts: ein kaiſerlicher Rath, Hieronymus von Endorf ſah es als einen Eingriff der geiſtlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Papſt die Anordnungen ſeiner Bulle einſchärfte „bei dem Makel des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, bei Verluſt der Erbrechte und Lehen:“ er rief den Kaiſer auf, das nicht zu dulden. 1 Aleander fand aber nicht allein die Rechts- gelehrten, ſondern auch den Clerus wanken: namentlich die niedere Geiſtlichkeit, welche den Druck der hierarchiſchen Gewalten auch ihrerſeits nicht wenig empfand: er ur- theilte, in allen deutſchen Ländern gebe ſie den Lehren Luthers Beifall. 2 Es entgieng ihm nicht, daß auch die Orden von denſelben ergriffen waren. Bei den Augu- ſtinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei andern Oppoſition gegen die Herrſchaft der Dominicaner; wie hätte es anders ſeyn können, als daß ſich in gar manchem unfreiwilligen Kloſterbruder unter dieſen Umſtän- den die Hofnung und der Wunſch regte, ſich ſeiner Feſ- ſeln zu entledigen. Ganz von ſelbſt gehörten die Schulen 1 An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet- richſtein. Walch XV, 1902. 2 Auszuͤge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/462
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/462>, abgerufen am 22.11.2024.