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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Abfall Luthers.
tiger aber war für Luthers practischen Standpunct die
Lehre, daß die Celebration des Sacramentes ein verdienst-
liches Werk, daß sie ein Opfer sey. Sie knüpfte sich an
jene mysteriöse Vorstellung von der Identität Christi selbst
und der römischen Kirche, die für Luther völlig verschwun-
den war: er fand davon nichts in der Schrift: hier las
er nur von der Verheißung der Erlösung, die an das sinn-
liche Zeichen und den Glauben geknüpft sey: er konnte es
den Scholastikern nicht vergeben, daß sie nur von dem
Zeichen, nicht aber von der Verheißung und dem Glau-
ben handelten. 1 Wie könne man behaupten, daß es ein
gutes Werk ein Opfer sey, sich an eine empfangene Ver-
heißung erinnern? Daß die Vollziehung dieses Gedächt-
nisses einem Andern, einem Abwesenden etwas nütze, sey
eine der falschesten und gefährlichsten Meinungen. Indem
er diese Lehren bestreitet, verbirgt er sich nicht, was daraus
entstehen, wie die Autorität unzähliger Schriften fallen,
das ganze System der Cerimonien und Äußerlichkeiten der
Kirche verändert werden müsse; allein kühn sieht er dieser
Nothwendigkeit in die Augen; er betrachtet sich als den
Anwald der Schrift, welche mehr bedeute, und sorg-
fältigere Rücksicht verdiene, als alles was Menschen und
Engel denken. Er sagt, er verkündige nur das Wort,
um seine Seele zu retten, möge dann die Welt zusehn,

1 Wenn späterhin Bellarmin, wie Möhler p. 255 anführt,
allerdings ex parte suscipientis voluntatem fidem et poeniten-
tiam
fordert, so waren es eben Bestimmungen dieser Art, welche
Luther in den damals geltenden thomistischen Schriften vermißte, und
um ihn tadeln zu können, müßte man erst nachweisen, daß diese Leh-
ren zu seiner Zeit wirklich gelehrt und eingeschärft worden seyen.
Die Wiederaufnahme derselben in der römischen Kirche ist, wie ge-
sagt, erst die Nachwirkung der reformatorischen Tendenzen.

Abfall Luthers.
tiger aber war für Luthers practiſchen Standpunct die
Lehre, daß die Celebration des Sacramentes ein verdienſt-
liches Werk, daß ſie ein Opfer ſey. Sie knüpfte ſich an
jene myſteriöſe Vorſtellung von der Identität Chriſti ſelbſt
und der römiſchen Kirche, die für Luther völlig verſchwun-
den war: er fand davon nichts in der Schrift: hier las
er nur von der Verheißung der Erlöſung, die an das ſinn-
liche Zeichen und den Glauben geknüpft ſey: er konnte es
den Scholaſtikern nicht vergeben, daß ſie nur von dem
Zeichen, nicht aber von der Verheißung und dem Glau-
ben handelten. 1 Wie könne man behaupten, daß es ein
gutes Werk ein Opfer ſey, ſich an eine empfangene Ver-
heißung erinnern? Daß die Vollziehung dieſes Gedächt-
niſſes einem Andern, einem Abweſenden etwas nütze, ſey
eine der falſcheſten und gefährlichſten Meinungen. Indem
er dieſe Lehren beſtreitet, verbirgt er ſich nicht, was daraus
entſtehen, wie die Autorität unzähliger Schriften fallen,
das ganze Syſtem der Cerimonien und Äußerlichkeiten der
Kirche verändert werden müſſe; allein kühn ſieht er dieſer
Nothwendigkeit in die Augen; er betrachtet ſich als den
Anwald der Schrift, welche mehr bedeute, und ſorg-
fältigere Rückſicht verdiene, als alles was Menſchen und
Engel denken. Er ſagt, er verkündige nur das Wort,
um ſeine Seele zu retten, möge dann die Welt zuſehn,

1 Wenn ſpaͤterhin Bellarmin, wie Moͤhler p. 255 anfuͤhrt,
allerdings ex parte suscipientis voluntatem fidem et poeniten-
tiam
fordert, ſo waren es eben Beſtimmungen dieſer Art, welche
Luther in den damals geltenden thomiſtiſchen Schriften vermißte, und
um ihn tadeln zu koͤnnen, muͤßte man erſt nachweiſen, daß dieſe Leh-
ren zu ſeiner Zeit wirklich gelehrt und eingeſchaͤrft worden ſeyen.
Die Wiederaufnahme derſelben in der roͤmiſchen Kirche iſt, wie ge-
ſagt, erſt die Nachwirkung der reformatoriſchen Tendenzen.
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[439/0457] Abfall Luthers. tiger aber war für Luthers practiſchen Standpunct die Lehre, daß die Celebration des Sacramentes ein verdienſt- liches Werk, daß ſie ein Opfer ſey. Sie knüpfte ſich an jene myſteriöſe Vorſtellung von der Identität Chriſti ſelbſt und der römiſchen Kirche, die für Luther völlig verſchwun- den war: er fand davon nichts in der Schrift: hier las er nur von der Verheißung der Erlöſung, die an das ſinn- liche Zeichen und den Glauben geknüpft ſey: er konnte es den Scholaſtikern nicht vergeben, daß ſie nur von dem Zeichen, nicht aber von der Verheißung und dem Glau- ben handelten. 1 Wie könne man behaupten, daß es ein gutes Werk ein Opfer ſey, ſich an eine empfangene Ver- heißung erinnern? Daß die Vollziehung dieſes Gedächt- niſſes einem Andern, einem Abweſenden etwas nütze, ſey eine der falſcheſten und gefährlichſten Meinungen. Indem er dieſe Lehren beſtreitet, verbirgt er ſich nicht, was daraus entſtehen, wie die Autorität unzähliger Schriften fallen, das ganze Syſtem der Cerimonien und Äußerlichkeiten der Kirche verändert werden müſſe; allein kühn ſieht er dieſer Nothwendigkeit in die Augen; er betrachtet ſich als den Anwald der Schrift, welche mehr bedeute, und ſorg- fältigere Rückſicht verdiene, als alles was Menſchen und Engel denken. Er ſagt, er verkündige nur das Wort, um ſeine Seele zu retten, möge dann die Welt zuſehn, 1 Wenn ſpaͤterhin Bellarmin, wie Moͤhler p. 255 anfuͤhrt, allerdings ex parte suscipientis voluntatem fidem et poeniten- tiam fordert, ſo waren es eben Beſtimmungen dieſer Art, welche Luther in den damals geltenden thomiſtiſchen Schriften vermißte, und um ihn tadeln zu koͤnnen, muͤßte man erſt nachweiſen, daß dieſe Leh- ren zu ſeiner Zeit wirklich gelehrt und eingeſchaͤrft worden ſeyen. Die Wiederaufnahme derſelben in der roͤmiſchen Kirche iſt, wie ge- ſagt, erſt die Nachwirkung der reformatoriſchen Tendenzen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/457>, abgerufen am 22.11.2024.