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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.
des Papstthums im Mittelalter entgegensetzen, der weltlichen
Gewalt dagegen, der sie den schriftmäßigen Begriff der Obrig-
keit vindiciren, eine neue Grundlage geben, die Summe einer
neuen Weltbewegung, die sich Jahrhunderte hindurch fort-
setzen muß, in sich schließen. Dabei ist jedoch Luther nicht der
Meinung den Papst zu stürzen. Er soll bestehen, natürlich
weder als Oberherr des Kaiserthums, noch als Inhaber
aller geistlichen Gewalt, sondern mit bestimmten beschränk-
ten Befugnissen, vor allem, um die Streitigkeiten zwischen
Primaten und Erzbischöfen zu schlichten, und sie zur Er-
füllung ihres Amtes anzutreiben. Auch Cardinäle mögen
bleiben, aber nur so viel wie nöthig, etwa zwölf, und es
sollen ihnen nicht die besten Pfründen aus aller Welt zufal-
len. Die Landeskirchen sollen möglichst unabhängig seyn; und
zunächst in Deutschland soll man einen Primas haben mit
seinem eignen Gericht und seinen Canzleien der Gnade und
Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den deut-
schen Bischöfen zu bringen sind. Denn auch die Bisthü-
mer sollen eine größere Unabhängigkeit behalten: Luther
schilt auf die Eingriffe welche der römische Stuhl sich da-
mals in dem Sprengel von Straßburg erlaubt hatte. Die
Bischöfe sollen von den schweren Eiden befreit werden,
womit sie der Papst verpflichtet. Klöster möge es noch
geben, aber in geringer Anzahl, unter bestimmten strengen
Beschränkungen. Den niedern Geistlichen soll es frei stehn,
sich zu verheirathen. Ich brauche nicht auszuführen, welche
weitere Veränderungen sich ihm hieran knüpfen: sein Sinn
ist offenbar. Man könnte nicht sagen, er habe die Ein-
heit der lateinischen Christenheit sprengen, die geistliche Ver-

Zweites Buch. Drittes Capitel.
des Papſtthums im Mittelalter entgegenſetzen, der weltlichen
Gewalt dagegen, der ſie den ſchriftmäßigen Begriff der Obrig-
keit vindiciren, eine neue Grundlage geben, die Summe einer
neuen Weltbewegung, die ſich Jahrhunderte hindurch fort-
ſetzen muß, in ſich ſchließen. Dabei iſt jedoch Luther nicht der
Meinung den Papſt zu ſtürzen. Er ſoll beſtehen, natürlich
weder als Oberherr des Kaiſerthums, noch als Inhaber
aller geiſtlichen Gewalt, ſondern mit beſtimmten beſchränk-
ten Befugniſſen, vor allem, um die Streitigkeiten zwiſchen
Primaten und Erzbiſchöfen zu ſchlichten, und ſie zur Er-
füllung ihres Amtes anzutreiben. Auch Cardinäle mögen
bleiben, aber nur ſo viel wie nöthig, etwa zwölf, und es
ſollen ihnen nicht die beſten Pfründen aus aller Welt zufal-
len. Die Landeskirchen ſollen möglichſt unabhängig ſeyn; und
zunächſt in Deutſchland ſoll man einen Primas haben mit
ſeinem eignen Gericht und ſeinen Canzleien der Gnade und
Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den deut-
ſchen Biſchöfen zu bringen ſind. Denn auch die Bisthü-
mer ſollen eine größere Unabhängigkeit behalten: Luther
ſchilt auf die Eingriffe welche der römiſche Stuhl ſich da-
mals in dem Sprengel von Straßburg erlaubt hatte. Die
Biſchöfe ſollen von den ſchweren Eiden befreit werden,
womit ſie der Papſt verpflichtet. Klöſter möge es noch
geben, aber in geringer Anzahl, unter beſtimmten ſtrengen
Beſchränkungen. Den niedern Geiſtlichen ſoll es frei ſtehn,
ſich zu verheirathen. Ich brauche nicht auszuführen, welche
weitere Veränderungen ſich ihm hieran knüpfen: ſein Sinn
iſt offenbar. Man könnte nicht ſagen, er habe die Ein-
heit der lateiniſchen Chriſtenheit ſprengen, die geiſtliche Ver-

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[436/0454] Zweites Buch. Drittes Capitel. des Papſtthums im Mittelalter entgegenſetzen, der weltlichen Gewalt dagegen, der ſie den ſchriftmäßigen Begriff der Obrig- keit vindiciren, eine neue Grundlage geben, die Summe einer neuen Weltbewegung, die ſich Jahrhunderte hindurch fort- ſetzen muß, in ſich ſchließen. Dabei iſt jedoch Luther nicht der Meinung den Papſt zu ſtürzen. Er ſoll beſtehen, natürlich weder als Oberherr des Kaiſerthums, noch als Inhaber aller geiſtlichen Gewalt, ſondern mit beſtimmten beſchränk- ten Befugniſſen, vor allem, um die Streitigkeiten zwiſchen Primaten und Erzbiſchöfen zu ſchlichten, und ſie zur Er- füllung ihres Amtes anzutreiben. Auch Cardinäle mögen bleiben, aber nur ſo viel wie nöthig, etwa zwölf, und es ſollen ihnen nicht die beſten Pfründen aus aller Welt zufal- len. Die Landeskirchen ſollen möglichſt unabhängig ſeyn; und zunächſt in Deutſchland ſoll man einen Primas haben mit ſeinem eignen Gericht und ſeinen Canzleien der Gnade und Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den deut- ſchen Biſchöfen zu bringen ſind. Denn auch die Bisthü- mer ſollen eine größere Unabhängigkeit behalten: Luther ſchilt auf die Eingriffe welche der römiſche Stuhl ſich da- mals in dem Sprengel von Straßburg erlaubt hatte. Die Biſchöfe ſollen von den ſchweren Eiden befreit werden, womit ſie der Papſt verpflichtet. Klöſter möge es noch geben, aber in geringer Anzahl, unter beſtimmten ſtrengen Beſchränkungen. Den niedern Geiſtlichen ſoll es frei ſtehn, ſich zu verheirathen. Ich brauche nicht auszuführen, welche weitere Veränderungen ſich ihm hieran knüpfen: ſein Sinn iſt offenbar. Man könnte nicht ſagen, er habe die Ein- heit der lateiniſchen Chriſtenheit ſprengen, die geiſtliche Ver-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/454>, abgerufen am 22.11.2024.