Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Drittes Capitel.
Studium der römischen Literatur, in der die Deutschen
eine so glorreiche Rolle spielen, hat nicht selten die Wir-
kung gehabt, unsern Patriotismus zu erwecken. Die schlech-
ten Erfolge des Kaisers in dem venezianischen Kriege hiel-
ten Hutten nicht ab, ihn doch zu preisen; die Venezianer
behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi-
scher; den Treulosigkeiten des Papstes, dem Übermuth der
Franzosen setzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm
des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt
er aus, daß die Deutschen noch nicht ausgeartet, daß sie
noch immer die alten seyen. Als er aus Italien zurück-
kam, war eben der Kampf der Reuchlinisten gegen die Do-
minicaner ausgebrochen; er stellt sich seinen natürlichen
Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes
zur Seite; den Triumph des Meisters feiert er mit seinen
besten Hexametern, die einen sinnreichen Holzschnitt beglei-
ten. Hutten ist kein großer Gelehrter; seine Gedanken grei-
sen nicht sehr in die Tiefe; sein Talent liegt mehr in der
Unerschöpflichkeit seiner Ader, die sich immer mit gleichem
Feuer, gleicher Frische, in den mannichfaltigsten Formen
ergießt, lateinisch und deutsch, in Prosa und in Versen,
in rednerischer Invective und in glücklich dialogisirter Sa-
tyre. Dabei ist er nicht ohne den Geist eigener feiner Beob-
achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er sich in die
heiteren Regionen ächter Poesie; seine Feindseligkeiten sind
nicht von verstimmend-gehässiger Art, sie sind immer mit eben
so warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden;
er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rücksichts-
losen Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer

Zweites Buch. Drittes Capitel.
Studium der römiſchen Literatur, in der die Deutſchen
eine ſo glorreiche Rolle ſpielen, hat nicht ſelten die Wir-
kung gehabt, unſern Patriotismus zu erwecken. Die ſchlech-
ten Erfolge des Kaiſers in dem venezianiſchen Kriege hiel-
ten Hutten nicht ab, ihn doch zu preiſen; die Venezianer
behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi-
ſcher; den Treuloſigkeiten des Papſtes, dem Übermuth der
Franzoſen ſetzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm
des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt
er aus, daß die Deutſchen noch nicht ausgeartet, daß ſie
noch immer die alten ſeyen. Als er aus Italien zurück-
kam, war eben der Kampf der Reuchliniſten gegen die Do-
minicaner ausgebrochen; er ſtellt ſich ſeinen natürlichen
Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes
zur Seite; den Triumph des Meiſters feiert er mit ſeinen
beſten Hexametern, die einen ſinnreichen Holzſchnitt beglei-
ten. Hutten iſt kein großer Gelehrter; ſeine Gedanken grei-
ſen nicht ſehr in die Tiefe; ſein Talent liegt mehr in der
Unerſchöpflichkeit ſeiner Ader, die ſich immer mit gleichem
Feuer, gleicher Friſche, in den mannichfaltigſten Formen
ergießt, lateiniſch und deutſch, in Proſa und in Verſen,
in redneriſcher Invective und in glücklich dialogiſirter Sa-
tyre. Dabei iſt er nicht ohne den Geiſt eigener feiner Beob-
achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er ſich in die
heiteren Regionen ächter Poeſie; ſeine Feindſeligkeiten ſind
nicht von verſtimmend-gehäſſiger Art, ſie ſind immer mit eben
ſo warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden;
er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rückſichts-
loſen Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0436" n="418"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Studium der römi&#x017F;chen Literatur, in der die Deut&#x017F;chen<lb/>
eine &#x017F;o glorreiche Rolle &#x017F;pielen, hat nicht &#x017F;elten die Wir-<lb/>
kung gehabt, un&#x017F;ern Patriotismus zu erwecken. Die &#x017F;chlech-<lb/>
ten Erfolge des Kai&#x017F;ers in dem veneziani&#x017F;chen Kriege hiel-<lb/>
ten Hutten nicht ab, ihn doch zu prei&#x017F;en; die Venezianer<lb/>
behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi-<lb/>
&#x017F;cher; den Treulo&#x017F;igkeiten des Pap&#x017F;tes, dem Übermuth der<lb/>
Franzo&#x017F;en &#x017F;etzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm<lb/>
des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt<lb/>
er aus, daß die Deut&#x017F;chen noch nicht ausgeartet, daß &#x017F;ie<lb/>
noch immer die alten &#x017F;eyen. Als er aus Italien zurück-<lb/>
kam, war eben der Kampf der Reuchlini&#x017F;ten gegen die Do-<lb/>
minicaner ausgebrochen; er &#x017F;tellt &#x017F;ich &#x017F;einen natürlichen<lb/>
Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes<lb/>
zur Seite; den Triumph des Mei&#x017F;ters feiert er mit &#x017F;einen<lb/>
be&#x017F;ten Hexametern, die einen &#x017F;innreichen Holz&#x017F;chnitt beglei-<lb/>
ten. Hutten i&#x017F;t kein großer Gelehrter; &#x017F;eine Gedanken grei-<lb/>
&#x017F;en nicht &#x017F;ehr in die Tiefe; &#x017F;ein Talent liegt mehr in der<lb/>
Uner&#x017F;chöpflichkeit &#x017F;einer Ader, die &#x017F;ich immer mit gleichem<lb/>
Feuer, gleicher Fri&#x017F;che, in den mannichfaltig&#x017F;ten Formen<lb/>
ergießt, lateini&#x017F;ch und deut&#x017F;ch, in Pro&#x017F;a und in Ver&#x017F;en,<lb/>
in redneri&#x017F;cher Invective und in glücklich dialogi&#x017F;irter Sa-<lb/>
tyre. Dabei i&#x017F;t er nicht ohne den Gei&#x017F;t eigener feiner Beob-<lb/>
achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er &#x017F;ich in die<lb/>
heiteren Regionen ächter Poe&#x017F;ie; &#x017F;eine Feind&#x017F;eligkeiten &#x017F;ind<lb/>
nicht von ver&#x017F;timmend-gehä&#x017F;&#x017F;iger Art, &#x017F;ie &#x017F;ind immer mit eben<lb/>
&#x017F;o warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden;<lb/>
er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rück&#x017F;ichts-<lb/>
lo&#x017F;en Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[418/0436] Zweites Buch. Drittes Capitel. Studium der römiſchen Literatur, in der die Deutſchen eine ſo glorreiche Rolle ſpielen, hat nicht ſelten die Wir- kung gehabt, unſern Patriotismus zu erwecken. Die ſchlech- ten Erfolge des Kaiſers in dem venezianiſchen Kriege hiel- ten Hutten nicht ab, ihn doch zu preiſen; die Venezianer behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi- ſcher; den Treuloſigkeiten des Papſtes, dem Übermuth der Franzoſen ſetzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt er aus, daß die Deutſchen noch nicht ausgeartet, daß ſie noch immer die alten ſeyen. Als er aus Italien zurück- kam, war eben der Kampf der Reuchliniſten gegen die Do- minicaner ausgebrochen; er ſtellt ſich ſeinen natürlichen Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes zur Seite; den Triumph des Meiſters feiert er mit ſeinen beſten Hexametern, die einen ſinnreichen Holzſchnitt beglei- ten. Hutten iſt kein großer Gelehrter; ſeine Gedanken grei- ſen nicht ſehr in die Tiefe; ſein Talent liegt mehr in der Unerſchöpflichkeit ſeiner Ader, die ſich immer mit gleichem Feuer, gleicher Friſche, in den mannichfaltigſten Formen ergießt, lateiniſch und deutſch, in Proſa und in Verſen, in redneriſcher Invective und in glücklich dialogiſirter Sa- tyre. Dabei iſt er nicht ohne den Geiſt eigener feiner Beob- achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er ſich in die heiteren Regionen ächter Poeſie; ſeine Feindſeligkeiten ſind nicht von verſtimmend-gehäſſiger Art, ſie ſind immer mit eben ſo warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden; er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rückſichts- loſen Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/436
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/436>, abgerufen am 01.06.2024.