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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.
daß er die Wahrheit suche. Zu Hause war er immer hei-
ter, ein vergnügter scherzhafter Tischgenosse: auch auf das
Catheder nahm er wohl einen Blumenstraus mit; hier
aber entwickelte er den kühnsten, selbstvergessenen Ernst:
aus der Tiefe einer bisher noch nicht vollkommen zum
Bewußtseyn gediehenen Überzeugung erhob er neue Gedan-
ken und stellte sie im Feuer des Kampfes mit einer Ent-
schlossenheit fest, die keine Rücksicht mehr kannte; in sei-
nen Zügen las man die Macht der Stürme welche seine
Seele bestanden, den Muth mit denen sie andern noch
entgegengieng: sein ganzes Wesen athmete Tiefsinn, Freu-
digkeit und Zukunft. Der Streit warf sich nun sogleich
auf die Frage über die Berechtigungen des Papstthums,
die zugleich durch ihre Verständlichkeit und Bedeutung die
allgemeine Aufmerksamkeit fesselte. Zwei deutsche Bauern-
söhne -- denn auch Eck war der Sohn eines Bauern, Mi-
chael Mayr, der dann lange Zeit Ammann in Eck gewe-
sen ist, wie Luthers Vater Rathsherr in Mansfeld -- re-
präsentirten zwei Tendenzen der Meinung, die wie damals
so noch heute die Welt entzweien; von dem Ausgang ihres
Kampfes, den Erfolgen des Einen im Angriff, des Andern
im Widerstand, hieng großentheils der künftige Zustand
der Kirche und des Staates ab.

Da zeigte sich nun sogleich, daß Luther seine Behaup-
tung, der Primat des Papstes schreibe sich erst von den
letzten vierhundert Jahren her, nicht behaupten konnte: sehr
bald sah er sich durch die ältern Documente in die Enge
getrieben: zumal, da noch keine Critik die falschen Decre-
talen erschüttert hatte. Um so nachdrücklicher und kraft-

Zweites Buch. Drittes Capitel.
daß er die Wahrheit ſuche. Zu Hauſe war er immer hei-
ter, ein vergnügter ſcherzhafter Tiſchgenoſſe: auch auf das
Catheder nahm er wohl einen Blumenſtraus mit; hier
aber entwickelte er den kühnſten, ſelbſtvergeſſenen Ernſt:
aus der Tiefe einer bisher noch nicht vollkommen zum
Bewußtſeyn gediehenen Überzeugung erhob er neue Gedan-
ken und ſtellte ſie im Feuer des Kampfes mit einer Ent-
ſchloſſenheit feſt, die keine Rückſicht mehr kannte; in ſei-
nen Zügen las man die Macht der Stürme welche ſeine
Seele beſtanden, den Muth mit denen ſie andern noch
entgegengieng: ſein ganzes Weſen athmete Tiefſinn, Freu-
digkeit und Zukunft. Der Streit warf ſich nun ſogleich
auf die Frage über die Berechtigungen des Papſtthums,
die zugleich durch ihre Verſtändlichkeit und Bedeutung die
allgemeine Aufmerkſamkeit feſſelte. Zwei deutſche Bauern-
ſöhne — denn auch Eck war der Sohn eines Bauern, Mi-
chael Mayr, der dann lange Zeit Ammann in Eck gewe-
ſen iſt, wie Luthers Vater Rathsherr in Mansfeld — re-
präſentirten zwei Tendenzen der Meinung, die wie damals
ſo noch heute die Welt entzweien; von dem Ausgang ihres
Kampfes, den Erfolgen des Einen im Angriff, des Andern
im Widerſtand, hieng großentheils der künftige Zuſtand
der Kirche und des Staates ab.

Da zeigte ſich nun ſogleich, daß Luther ſeine Behaup-
tung, der Primat des Papſtes ſchreibe ſich erſt von den
letzten vierhundert Jahren her, nicht behaupten konnte: ſehr
bald ſah er ſich durch die ältern Documente in die Enge
getrieben: zumal, da noch keine Critik die falſchen Decre-
talen erſchüttert hatte. Um ſo nachdrücklicher und kraft-

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[404/0422] Zweites Buch. Drittes Capitel. daß er die Wahrheit ſuche. Zu Hauſe war er immer hei- ter, ein vergnügter ſcherzhafter Tiſchgenoſſe: auch auf das Catheder nahm er wohl einen Blumenſtraus mit; hier aber entwickelte er den kühnſten, ſelbſtvergeſſenen Ernſt: aus der Tiefe einer bisher noch nicht vollkommen zum Bewußtſeyn gediehenen Überzeugung erhob er neue Gedan- ken und ſtellte ſie im Feuer des Kampfes mit einer Ent- ſchloſſenheit feſt, die keine Rückſicht mehr kannte; in ſei- nen Zügen las man die Macht der Stürme welche ſeine Seele beſtanden, den Muth mit denen ſie andern noch entgegengieng: ſein ganzes Weſen athmete Tiefſinn, Freu- digkeit und Zukunft. Der Streit warf ſich nun ſogleich auf die Frage über die Berechtigungen des Papſtthums, die zugleich durch ihre Verſtändlichkeit und Bedeutung die allgemeine Aufmerkſamkeit feſſelte. Zwei deutſche Bauern- ſöhne — denn auch Eck war der Sohn eines Bauern, Mi- chael Mayr, der dann lange Zeit Ammann in Eck gewe- ſen iſt, wie Luthers Vater Rathsherr in Mansfeld — re- präſentirten zwei Tendenzen der Meinung, die wie damals ſo noch heute die Welt entzweien; von dem Ausgang ihres Kampfes, den Erfolgen des Einen im Angriff, des Andern im Widerſtand, hieng großentheils der künftige Zuſtand der Kirche und des Staates ab. Da zeigte ſich nun ſogleich, daß Luther ſeine Behaup- tung, der Primat des Papſtes ſchreibe ſich erſt von den letzten vierhundert Jahren her, nicht behaupten konnte: ſehr bald ſah er ſich durch die ältern Documente in die Enge getrieben: zumal, da noch keine Critik die falſchen Decre- talen erſchüttert hatte. Um ſo nachdrücklicher und kraft-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/422>, abgerufen am 22.11.2024.