Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Carolingische Zeiten.
ßen schien sich in einen geistlichen Staat umwandeln zu
wollen.

Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß
es besonders die Deutschen waren, welche dieser Entwicke-
lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußtseyn eben
an diesem Widerstande erwachte.

Denn von einer deutschen Nation im vollen Sinne
des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich
nicht reden. In den ältesten Zeiten hatten die verschiede-
nen Stämme gar nicht einmal einen gemeinschaftlichen Na-
men, an dem sie sich erkannt hätten; in den Zeiten der
Völkerwanderung schlagen sie sich mit so voller Feindselig-
keit unter einander wie mit Fremden, verbinden sich mit
denselben so gut wie mit ihren Stammesgenossen; unter
den merowingischen Königen kam dann die religiöse Feind-
seligkeit hinzu; dem fränkischen Christenthum gegenüber hiel-
ten die Sachsen um so starrer an ihrer Verfassung und an
ihren alten Göttern fest. Erst als Carl der Große alle
germanischen Stämme, außerhalb Englands und Scandina-
viens, in einen und denselben geistlichen und weltlichen Ge-
horsam vereinigt hatte, fieng die Nation an, sich zu bilden;
da erst, im Anfang des neunten Jahrhunderts, erschien im
Gegensatz gegen die romanischen Bestandtheile des Reiches
der deutsche Name. 1

Da ist es nun ewig merkwürdig, daß die erste Hand-
lung in der die Deutschen vereinigt erscheinen, der Wider-

1 Rühs: Erläuterung der zehn ersten Capitel von Tacitus
Germania p. 103; Mone Geschichte des Heidenthums im nördlichen
Europa Th. II, p. 6.

Carolingiſche Zeiten.
ßen ſchien ſich in einen geiſtlichen Staat umwandeln zu
wollen.

Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß
es beſonders die Deutſchen waren, welche dieſer Entwicke-
lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußtſeyn eben
an dieſem Widerſtande erwachte.

Denn von einer deutſchen Nation im vollen Sinne
des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich
nicht reden. In den älteſten Zeiten hatten die verſchiede-
nen Stämme gar nicht einmal einen gemeinſchaftlichen Na-
men, an dem ſie ſich erkannt hätten; in den Zeiten der
Völkerwanderung ſchlagen ſie ſich mit ſo voller Feindſelig-
keit unter einander wie mit Fremden, verbinden ſich mit
denſelben ſo gut wie mit ihren Stammesgenoſſen; unter
den merowingiſchen Königen kam dann die religiöſe Feind-
ſeligkeit hinzu; dem fränkiſchen Chriſtenthum gegenüber hiel-
ten die Sachſen um ſo ſtarrer an ihrer Verfaſſung und an
ihren alten Göttern feſt. Erſt als Carl der Große alle
germaniſchen Stämme, außerhalb Englands und Scandina-
viens, in einen und denſelben geiſtlichen und weltlichen Ge-
horſam vereinigt hatte, fieng die Nation an, ſich zu bilden;
da erſt, im Anfang des neunten Jahrhunderts, erſchien im
Gegenſatz gegen die romaniſchen Beſtandtheile des Reiches
der deutſche Name. 1

Da iſt es nun ewig merkwürdig, daß die erſte Hand-
lung in der die Deutſchen vereinigt erſcheinen, der Wider-

1 Ruͤhs: Erlaͤuterung der zehn erſten Capitel von Tacitus
Germania p. 103; Mone Geſchichte des Heidenthums im noͤrdlichen
Europa Th. II, p. 6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Carolingi&#x017F;che Zeiten</hi>.</fw><lb/>
ßen &#x017F;chien &#x017F;ich in einen gei&#x017F;tlichen Staat umwandeln zu<lb/>
wollen.</p><lb/>
          <p>Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß<lb/>
es be&#x017F;onders die Deut&#x017F;chen waren, welche die&#x017F;er Entwicke-<lb/>
lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußt&#x017F;eyn eben<lb/>
an die&#x017F;em Wider&#x017F;tande erwachte.</p><lb/>
          <p>Denn von einer deut&#x017F;chen Nation im vollen Sinne<lb/>
des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich<lb/>
nicht reden. In den älte&#x017F;ten Zeiten hatten die ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Stämme gar nicht einmal einen gemein&#x017F;chaftlichen Na-<lb/>
men, an dem &#x017F;ie &#x017F;ich erkannt hätten; in den Zeiten der<lb/>
Völkerwanderung &#x017F;chlagen &#x017F;ie &#x017F;ich mit &#x017F;o voller Feind&#x017F;elig-<lb/>
keit unter einander wie mit Fremden, verbinden &#x017F;ich mit<lb/>
den&#x017F;elben &#x017F;o gut wie mit ihren Stammesgeno&#x017F;&#x017F;en; unter<lb/>
den merowingi&#x017F;chen Königen kam dann die religiö&#x017F;e Feind-<lb/>
&#x017F;eligkeit hinzu; dem fränki&#x017F;chen Chri&#x017F;tenthum gegenüber hiel-<lb/>
ten die Sach&#x017F;en um &#x017F;o &#x017F;tarrer an ihrer Verfa&#x017F;&#x017F;ung und an<lb/>
ihren alten Göttern fe&#x017F;t. Er&#x017F;t als Carl der Große alle<lb/>
germani&#x017F;chen Stämme, außerhalb Englands und Scandina-<lb/>
viens, in einen und den&#x017F;elben gei&#x017F;tlichen und weltlichen Ge-<lb/>
hor&#x017F;am vereinigt hatte, fieng die Nation an, &#x017F;ich zu bilden;<lb/>
da er&#x017F;t, im Anfang des neunten Jahrhunderts, er&#x017F;chien im<lb/>
Gegen&#x017F;atz gegen die romani&#x017F;chen Be&#x017F;tandtheile des Reiches<lb/>
der deut&#x017F;che Name. <note place="foot" n="1">Ru&#x0364;hs: Erla&#x0364;uterung der zehn er&#x017F;ten Capitel von Tacitus<lb/>
Germania <hi rendition="#aq">p.</hi> 103; Mone Ge&#x017F;chichte des Heidenthums im no&#x0364;rdlichen<lb/>
Europa Th. <hi rendition="#aq">II, p.</hi> 6.</note></p><lb/>
          <p>Da i&#x017F;t es nun ewig merkwürdig, daß die er&#x017F;te Hand-<lb/>
lung in der die Deut&#x017F;chen vereinigt er&#x017F;cheinen, der Wider-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0031] Carolingiſche Zeiten. ßen ſchien ſich in einen geiſtlichen Staat umwandeln zu wollen. Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß es beſonders die Deutſchen waren, welche dieſer Entwicke- lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußtſeyn eben an dieſem Widerſtande erwachte. Denn von einer deutſchen Nation im vollen Sinne des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich nicht reden. In den älteſten Zeiten hatten die verſchiede- nen Stämme gar nicht einmal einen gemeinſchaftlichen Na- men, an dem ſie ſich erkannt hätten; in den Zeiten der Völkerwanderung ſchlagen ſie ſich mit ſo voller Feindſelig- keit unter einander wie mit Fremden, verbinden ſich mit denſelben ſo gut wie mit ihren Stammesgenoſſen; unter den merowingiſchen Königen kam dann die religiöſe Feind- ſeligkeit hinzu; dem fränkiſchen Chriſtenthum gegenüber hiel- ten die Sachſen um ſo ſtarrer an ihrer Verfaſſung und an ihren alten Göttern feſt. Erſt als Carl der Große alle germaniſchen Stämme, außerhalb Englands und Scandina- viens, in einen und denſelben geiſtlichen und weltlichen Ge- horſam vereinigt hatte, fieng die Nation an, ſich zu bilden; da erſt, im Anfang des neunten Jahrhunderts, erſchien im Gegenſatz gegen die romaniſchen Beſtandtheile des Reiches der deutſche Name. 1 Da iſt es nun ewig merkwürdig, daß die erſte Hand- lung in der die Deutſchen vereinigt erſcheinen, der Wider- 1 Ruͤhs: Erlaͤuterung der zehn erſten Capitel von Tacitus Germania p. 103; Mone Geſchichte des Heidenthums im noͤrdlichen Europa Th. II, p. 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/31
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/31>, abgerufen am 23.11.2024.