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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
dicin, alles was je von der Literatur berührt worden: haupt-
sächlich aber jene Poeten und Redner auf den Universitä-
ten und Schulen, die in der Sache Reuchlins die ihre sa-
hen, und jetzt in Schaaren auf den eröffneten Kampfplatz
stürzten: an ihrer Spitze die Busch, Jäger, Heß, Hutten,
und wie sie alle heißen. 1 Das merkwürdige Product, in
dem sich ihr ganzes Streben zusammenfaßt, sind die Epi-
stolae obscurorum virorum
. Jene populäre Satyre, die
sich schon so viel in der Nation geregt, aber bisher noch im
allgemeinen gehalten, fand hier einen Gegenstand, der ihr so
recht eigentlich gemäß war. Wir dürfen darin nicht jene
Feinheit der Auffassung suchen, die sich nur bei einem sehr
ausgebildeten gesellschaftlichen Zustand entwickelt, auch nicht
den Ingrimm einer sich verletzt fühlenden Sittlichkeit wie
bei einigen Alten; es ist alles Carikatur, nicht einmal vol-
ler Persönlichkeiten, sondern ein einziger Typus: so ein töl-
pischer genußsüchtiger von dummer Bewunderung und fa-
natischem Haß beschränkter deutscher Pfaffe, der die man-
cherlei anstößigen Situationen in die er geräth, in alberner
Vertraulichkeit enthüllt. Diese Briefe sind nicht das Werk
eines hohen poetischen Genius; aber sie haben Wahrheit,
grobe, starke, treffende Züge, und tüchtige Farben. Wie sie
aus einer weitverbreiteten großen Tendenz hervorgiengen,
so brachten sie auch eine ungeheure Wirkung hervor; der
römische Stuhl hielt für nothwendig, sie zu verbieten.


1 Schon vor den Briefen an Reuchlin findet man den exer-
citus Reuchlinistarum
verzeichnet. Ein anderes Verzeichniß hat Pirk-
heimer Epistola apologetica bei Hardt p. 136. Spätre Verzeich-
nisse z. B. bei Meierhof, würden wohl noch manche Restriction er-
leiden müssen.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dicin, alles was je von der Literatur berührt worden: haupt-
ſächlich aber jene Poeten und Redner auf den Univerſitä-
ten und Schulen, die in der Sache Reuchlins die ihre ſa-
hen, und jetzt in Schaaren auf den eröffneten Kampfplatz
ſtürzten: an ihrer Spitze die Buſch, Jäger, Heß, Hutten,
und wie ſie alle heißen. 1 Das merkwürdige Product, in
dem ſich ihr ganzes Streben zuſammenfaßt, ſind die Epi-
stolae obscurorum virorum
. Jene populäre Satyre, die
ſich ſchon ſo viel in der Nation geregt, aber bisher noch im
allgemeinen gehalten, fand hier einen Gegenſtand, der ihr ſo
recht eigentlich gemäß war. Wir dürfen darin nicht jene
Feinheit der Auffaſſung ſuchen, die ſich nur bei einem ſehr
ausgebildeten geſellſchaftlichen Zuſtand entwickelt, auch nicht
den Ingrimm einer ſich verletzt fühlenden Sittlichkeit wie
bei einigen Alten; es iſt alles Carikatur, nicht einmal vol-
ler Perſönlichkeiten, ſondern ein einziger Typus: ſo ein töl-
piſcher genußſüchtiger von dummer Bewunderung und fa-
natiſchem Haß beſchränkter deutſcher Pfaffe, der die man-
cherlei anſtößigen Situationen in die er geräth, in alberner
Vertraulichkeit enthüllt. Dieſe Briefe ſind nicht das Werk
eines hohen poetiſchen Genius; aber ſie haben Wahrheit,
grobe, ſtarke, treffende Züge, und tüchtige Farben. Wie ſie
aus einer weitverbreiteten großen Tendenz hervorgiengen,
ſo brachten ſie auch eine ungeheure Wirkung hervor; der
römiſche Stuhl hielt für nothwendig, ſie zu verbieten.


1 Schon vor den Briefen an Reuchlin findet man den exer-
citus Reuchlinistarum
verzeichnet. Ein anderes Verzeichniß hat Pirk-
heimer Epistola apologetica bei Hardt p. 136. Spaͤtre Verzeich-
niſſe z. B. bei Meierhof, wuͤrden wohl noch manche Reſtriction er-
leiden muͤſſen.
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[282/0300] Zweites Buch. Erſtes Capitel. dicin, alles was je von der Literatur berührt worden: haupt- ſächlich aber jene Poeten und Redner auf den Univerſitä- ten und Schulen, die in der Sache Reuchlins die ihre ſa- hen, und jetzt in Schaaren auf den eröffneten Kampfplatz ſtürzten: an ihrer Spitze die Buſch, Jäger, Heß, Hutten, und wie ſie alle heißen. 1 Das merkwürdige Product, in dem ſich ihr ganzes Streben zuſammenfaßt, ſind die Epi- stolae obscurorum virorum. Jene populäre Satyre, die ſich ſchon ſo viel in der Nation geregt, aber bisher noch im allgemeinen gehalten, fand hier einen Gegenſtand, der ihr ſo recht eigentlich gemäß war. Wir dürfen darin nicht jene Feinheit der Auffaſſung ſuchen, die ſich nur bei einem ſehr ausgebildeten geſellſchaftlichen Zuſtand entwickelt, auch nicht den Ingrimm einer ſich verletzt fühlenden Sittlichkeit wie bei einigen Alten; es iſt alles Carikatur, nicht einmal vol- ler Perſönlichkeiten, ſondern ein einziger Typus: ſo ein töl- piſcher genußſüchtiger von dummer Bewunderung und fa- natiſchem Haß beſchränkter deutſcher Pfaffe, der die man- cherlei anſtößigen Situationen in die er geräth, in alberner Vertraulichkeit enthüllt. Dieſe Briefe ſind nicht das Werk eines hohen poetiſchen Genius; aber ſie haben Wahrheit, grobe, ſtarke, treffende Züge, und tüchtige Farben. Wie ſie aus einer weitverbreiteten großen Tendenz hervorgiengen, ſo brachten ſie auch eine ungeheure Wirkung hervor; der römiſche Stuhl hielt für nothwendig, ſie zu verbieten. 1 Schon vor den Briefen an Reuchlin findet man den exer- citus Reuchlinistarum verzeichnet. Ein anderes Verzeichniß hat Pirk- heimer Epistola apologetica bei Hardt p. 136. Spaͤtre Verzeich- niſſe z. B. bei Meierhof, wuͤrden wohl noch manche Reſtriction er- leiden muͤſſen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/300>, abgerufen am 22.11.2024.