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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Erstes Buch.
digkeit einer Veränderung begünstigt, aber aus eigenem Le-
bensgrund aufwachsend, selbständige das Chaos mit star-
ker Hand ordnende Gewalten.

Es ist dieß das Ereigniß des funfzehnten Jahrhun-
derts. Jedermann kennt die Namen der thatkräftigen Für-
sten jener Zeit, denen es beschieden war, in den europäi-
schen Nationen zum ersten Mal das volle Gefühl ihres
Selbst zu erwecken. In Frankreich finden wir Carl VII
und Ludwig XI: das Land ward den alten Feinden, die
es zur Hälfte besaßen, den Engländern endlich entrissen
und unter der Standarte der Lilien vereinigt; das König-
thum ward auf Armeen und Finanzen gegründet; dem prak-
tischen treffenden Sinn, der seine Absichten erreichte, weil
er nur das wollte was an sich nothwendig war, kam
die verschlagene berechnende Klugheit zu Hülfe; alle die
trotzigen Mächte, die sich dem höchsten Ansehn entgegen-
gesetzt, wurden gebeugt oder gestürzt; schon konnte die neue
Ordnung der Dinge eine lange und stürmische Minderjäh-
rigkeit überdauern. Über den Trümmern der beiden Factio-
nen der englischen Aristokratie gründete Heinrich VII die
Macht der Tudors mit unerschütterlichem Entschluß, durch-
greifender Hand, ohne daß er darum die alten Freiheiten
der Nation zu vernichten gesucht hätte: die normannischen
Zeiten waren vorüber: das neuere England fieng an. Zu
derselben Zeit bezwang Isabella von Castilien durch ihre
Verbindung mit einem mächtigen Nachbar, durch den An-
theil an der geistlichen Gewalt, den sie sich zu verschaffen
wußte, und durch das Übergewicht einer großartigen weib-
lichen Persönlichkeit, in der sich strenger Haushalt und rit-

Erſtes Buch.
digkeit einer Veränderung begünſtigt, aber aus eigenem Le-
bensgrund aufwachſend, ſelbſtändige das Chaos mit ſtar-
ker Hand ordnende Gewalten.

Es iſt dieß das Ereigniß des funfzehnten Jahrhun-
derts. Jedermann kennt die Namen der thatkräftigen Für-
ſten jener Zeit, denen es beſchieden war, in den europäi-
ſchen Nationen zum erſten Mal das volle Gefühl ihres
Selbſt zu erwecken. In Frankreich finden wir Carl VII
und Ludwig XI: das Land ward den alten Feinden, die
es zur Hälfte beſaßen, den Engländern endlich entriſſen
und unter der Standarte der Lilien vereinigt; das König-
thum ward auf Armeen und Finanzen gegründet; dem prak-
tiſchen treffenden Sinn, der ſeine Abſichten erreichte, weil
er nur das wollte was an ſich nothwendig war, kam
die verſchlagene berechnende Klugheit zu Hülfe; alle die
trotzigen Mächte, die ſich dem höchſten Anſehn entgegen-
geſetzt, wurden gebeugt oder geſtürzt; ſchon konnte die neue
Ordnung der Dinge eine lange und ſtürmiſche Minderjäh-
rigkeit überdauern. Über den Trümmern der beiden Factio-
nen der engliſchen Ariſtokratie gründete Heinrich VII die
Macht der Tudors mit unerſchütterlichem Entſchluß, durch-
greifender Hand, ohne daß er darum die alten Freiheiten
der Nation zu vernichten geſucht hätte: die normanniſchen
Zeiten waren vorüber: das neuere England fieng an. Zu
derſelben Zeit bezwang Iſabella von Caſtilien durch ihre
Verbindung mit einem mächtigen Nachbar, durch den An-
theil an der geiſtlichen Gewalt, den ſie ſich zu verſchaffen
wußte, und durch das Übergewicht einer großartigen weib-
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[82/0100] Erſtes Buch. digkeit einer Veränderung begünſtigt, aber aus eigenem Le- bensgrund aufwachſend, ſelbſtändige das Chaos mit ſtar- ker Hand ordnende Gewalten. Es iſt dieß das Ereigniß des funfzehnten Jahrhun- derts. Jedermann kennt die Namen der thatkräftigen Für- ſten jener Zeit, denen es beſchieden war, in den europäi- ſchen Nationen zum erſten Mal das volle Gefühl ihres Selbſt zu erwecken. In Frankreich finden wir Carl VII und Ludwig XI: das Land ward den alten Feinden, die es zur Hälfte beſaßen, den Engländern endlich entriſſen und unter der Standarte der Lilien vereinigt; das König- thum ward auf Armeen und Finanzen gegründet; dem prak- tiſchen treffenden Sinn, der ſeine Abſichten erreichte, weil er nur das wollte was an ſich nothwendig war, kam die verſchlagene berechnende Klugheit zu Hülfe; alle die trotzigen Mächte, die ſich dem höchſten Anſehn entgegen- geſetzt, wurden gebeugt oder geſtürzt; ſchon konnte die neue Ordnung der Dinge eine lange und ſtürmiſche Minderjäh- rigkeit überdauern. Über den Trümmern der beiden Factio- nen der engliſchen Ariſtokratie gründete Heinrich VII die Macht der Tudors mit unerſchütterlichem Entſchluß, durch- greifender Hand, ohne daß er darum die alten Freiheiten der Nation zu vernichten geſucht hätte: die normanniſchen Zeiten waren vorüber: das neuere England fieng an. Zu derſelben Zeit bezwang Iſabella von Caſtilien durch ihre Verbindung mit einem mächtigen Nachbar, durch den An- theil an der geiſtlichen Gewalt, den ſie ſich zu verſchaffen wußte, und durch das Übergewicht einer großartigen weib- lichen Perſönlichkeit, in der ſich ſtrenger Haushalt und rit-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/100>, abgerufen am 25.11.2024.