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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Andrea Nicoletti
ihres Andenkens zu suchen, das vielmehr von den Angehörigen, wenn
nicht überschätzt, doch sehr hochgehalten zu werden pflegt: er hat eher
folgenden Ursprung.

Im Anfang, wo das Andenken frisch ist, das Material noch
zusammen gebracht werden kann, nimmt man Rücksicht auf die Zeit-
genossen: man wagt nicht alles zu sagen: eine Menge Persönlichkei-
ten würden compromittirt und tausend Animositäten gegen den Hel-
den selbst hervorgerufen werden.

Später, wenn die Zeitgenossen auch dahingegangen sind, wenn
man nun sich getrauen dürfte zu reden, ist auch das Andenken ver-
loschen, die Materialien sind zerstreut: das Interesse selbst hat abge-
nommen, und erwacht nur in Denen wieder, die nun vom Stand-
punkt der historischen Wissenschaft her unterrichtet zu werden wünschen.

Da traf man nun in Italien öfters folgende Auskunft.

Einem vertrauten Freunde oder Diener des Hauses, der im All-
gemeinen mitwissend und unterrichtet seyn mußte, wurden die Ma-
terialien übergeben: er stellte sie zusammen, ordnete sie an und
verband sie zu einer zusammenhängenden Erzählung; jedoch für den
Druck wurde dieselbe nicht bestimmt: sie ward handschriftlich in dem
Archiv des Hauses aufbewahrt.

Dergestalt schonte man die Susceptibilität der Zeitgenossen und
erhielt doch auch die Möglichkeit dereinstiger Auffrischung eines rasch
verschwindenden Andenkens in voller Wahrheit.

Zu den Werken dieser Art gehört die Arbeit des Andrea Ni-
coletti.

Sie enthält die Erinnerungen des Hauses an die Persönlichkeit
und die Handlungen Urbans VIII; das aber was ihr Körper gibt,
was die Masse ausmacht, ist die Aufnahme der gesammten gesandt-
schaftlichen Correspondenz, wie sie in den 21 Jahren Urbans gepflo-
gen worden war.

Diese Lebensbeschreibung besteht wesentlich aus einer Compila-
tion der Nuntiaturdepeschen.

Es sind nicht die Finalberichte, die eigentlich sogenannten Rela-
tionen, sondern die Depeschen selbst: wie sich das denn auch für eine
Lebensbeschreibung ziemt; der Papst erscheint darin immer selber an-
ordnend, beschließend, handelnd.

Ich habe gesehen, daß man in Venedig ähnliche Zusammen-
stellungen versucht hat: aber da die Thätigkeit der Republik ver-
schwindet, und nur die Masse der eingegangenen Nachrichten vorge-
legt wird, ohne daß eine Rückwirkung sichtbar hervorträte, so zer-
streut sich die Aufmerksamkeit gar bald, und ermüdet.

Hier ist es ganz anders. Der Beruf des Papstthums, die ver-
wickelte politische Stellung Urbans VIII, die unmittelbare Bedeutung
aller Nachrichten für ein großes Weltereigniß bringen Einheit und In-
teresse hervor.

Es liegt am Tage, wie überaus wichtig nun die Nachrichten
die hier vorkommen, für die Periode des dreißigjährigen Krieges in
Deutschland sind. Sie erläutern ihn in jedem Momente.

Wo der Autor urtheilt oder in seiner Person referirt, wird man
ihm freilich nicht unbedingt zu folgen haben. Hie und da gebrach

Andrea Nicoletti
ihres Andenkens zu ſuchen, das vielmehr von den Angehoͤrigen, wenn
nicht uͤberſchaͤtzt, doch ſehr hochgehalten zu werden pflegt: er hat eher
folgenden Urſprung.

Im Anfang, wo das Andenken friſch iſt, das Material noch
zuſammen gebracht werden kann, nimmt man Ruͤckſicht auf die Zeit-
genoſſen: man wagt nicht alles zu ſagen: eine Menge Perſoͤnlichkei-
ten wuͤrden compromittirt und tauſend Animoſitaͤten gegen den Hel-
den ſelbſt hervorgerufen werden.

Spaͤter, wenn die Zeitgenoſſen auch dahingegangen ſind, wenn
man nun ſich getrauen duͤrfte zu reden, iſt auch das Andenken ver-
loſchen, die Materialien ſind zerſtreut: das Intereſſe ſelbſt hat abge-
nommen, und erwacht nur in Denen wieder, die nun vom Stand-
punkt der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft her unterrichtet zu werden wuͤnſchen.

Da traf man nun in Italien oͤfters folgende Auskunft.

Einem vertrauten Freunde oder Diener des Hauſes, der im All-
gemeinen mitwiſſend und unterrichtet ſeyn mußte, wurden die Ma-
terialien uͤbergeben: er ſtellte ſie zuſammen, ordnete ſie an und
verband ſie zu einer zuſammenhaͤngenden Erzaͤhlung; jedoch fuͤr den
Druck wurde dieſelbe nicht beſtimmt: ſie ward handſchriftlich in dem
Archiv des Hauſes aufbewahrt.

Dergeſtalt ſchonte man die Susceptibilitaͤt der Zeitgenoſſen und
erhielt doch auch die Moͤglichkeit dereinſtiger Auffriſchung eines raſch
verſchwindenden Andenkens in voller Wahrheit.

Zu den Werken dieſer Art gehoͤrt die Arbeit des Andrea Ni-
coletti.

Sie enthaͤlt die Erinnerungen des Hauſes an die Perſoͤnlichkeit
und die Handlungen Urbans VIII; das aber was ihr Koͤrper gibt,
was die Maſſe ausmacht, iſt die Aufnahme der geſammten geſandt-
ſchaftlichen Correſpondenz, wie ſie in den 21 Jahren Urbans gepflo-
gen worden war.

Dieſe Lebensbeſchreibung beſteht weſentlich aus einer Compila-
tion der Nuntiaturdepeſchen.

Es ſind nicht die Finalberichte, die eigentlich ſogenannten Rela-
tionen, ſondern die Depeſchen ſelbſt: wie ſich das denn auch fuͤr eine
Lebensbeſchreibung ziemt; der Papſt erſcheint darin immer ſelber an-
ordnend, beſchließend, handelnd.

Ich habe geſehen, daß man in Venedig aͤhnliche Zuſammen-
ſtellungen verſucht hat: aber da die Thaͤtigkeit der Republik ver-
ſchwindet, und nur die Maſſe der eingegangenen Nachrichten vorge-
legt wird, ohne daß eine Ruͤckwirkung ſichtbar hervortraͤte, ſo zer-
ſtreut ſich die Aufmerkſamkeit gar bald, und ermuͤdet.

Hier iſt es ganz anders. Der Beruf des Papſtthums, die ver-
wickelte politiſche Stellung Urbans VIII, die unmittelbare Bedeutung
aller Nachrichten fuͤr ein großes Weltereigniß bringen Einheit und In-
tereſſe hervor.

Es liegt am Tage, wie uͤberaus wichtig nun die Nachrichten
die hier vorkommen, fuͤr die Periode des dreißigjaͤhrigen Krieges in
Deutſchland ſind. Sie erlaͤutern ihn in jedem Momente.

Wo der Autor urtheilt oder in ſeiner Perſon referirt, wird man
ihm freilich nicht unbedingt zu folgen haben. Hie und da gebrach

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[434/0446] Andrea Nicoletti ihres Andenkens zu ſuchen, das vielmehr von den Angehoͤrigen, wenn nicht uͤberſchaͤtzt, doch ſehr hochgehalten zu werden pflegt: er hat eher folgenden Urſprung. Im Anfang, wo das Andenken friſch iſt, das Material noch zuſammen gebracht werden kann, nimmt man Ruͤckſicht auf die Zeit- genoſſen: man wagt nicht alles zu ſagen: eine Menge Perſoͤnlichkei- ten wuͤrden compromittirt und tauſend Animoſitaͤten gegen den Hel- den ſelbſt hervorgerufen werden. Spaͤter, wenn die Zeitgenoſſen auch dahingegangen ſind, wenn man nun ſich getrauen duͤrfte zu reden, iſt auch das Andenken ver- loſchen, die Materialien ſind zerſtreut: das Intereſſe ſelbſt hat abge- nommen, und erwacht nur in Denen wieder, die nun vom Stand- punkt der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft her unterrichtet zu werden wuͤnſchen. Da traf man nun in Italien oͤfters folgende Auskunft. Einem vertrauten Freunde oder Diener des Hauſes, der im All- gemeinen mitwiſſend und unterrichtet ſeyn mußte, wurden die Ma- terialien uͤbergeben: er ſtellte ſie zuſammen, ordnete ſie an und verband ſie zu einer zuſammenhaͤngenden Erzaͤhlung; jedoch fuͤr den Druck wurde dieſelbe nicht beſtimmt: ſie ward handſchriftlich in dem Archiv des Hauſes aufbewahrt. Dergeſtalt ſchonte man die Susceptibilitaͤt der Zeitgenoſſen und erhielt doch auch die Moͤglichkeit dereinſtiger Auffriſchung eines raſch verſchwindenden Andenkens in voller Wahrheit. Zu den Werken dieſer Art gehoͤrt die Arbeit des Andrea Ni- coletti. Sie enthaͤlt die Erinnerungen des Hauſes an die Perſoͤnlichkeit und die Handlungen Urbans VIII; das aber was ihr Koͤrper gibt, was die Maſſe ausmacht, iſt die Aufnahme der geſammten geſandt- ſchaftlichen Correſpondenz, wie ſie in den 21 Jahren Urbans gepflo- gen worden war. Dieſe Lebensbeſchreibung beſteht weſentlich aus einer Compila- tion der Nuntiaturdepeſchen. Es ſind nicht die Finalberichte, die eigentlich ſogenannten Rela- tionen, ſondern die Depeſchen ſelbſt: wie ſich das denn auch fuͤr eine Lebensbeſchreibung ziemt; der Papſt erſcheint darin immer ſelber an- ordnend, beſchließend, handelnd. Ich habe geſehen, daß man in Venedig aͤhnliche Zuſammen- ſtellungen verſucht hat: aber da die Thaͤtigkeit der Republik ver- ſchwindet, und nur die Maſſe der eingegangenen Nachrichten vorge- legt wird, ohne daß eine Ruͤckwirkung ſichtbar hervortraͤte, ſo zer- ſtreut ſich die Aufmerkſamkeit gar bald, und ermuͤdet. Hier iſt es ganz anders. Der Beruf des Papſtthums, die ver- wickelte politiſche Stellung Urbans VIII, die unmittelbare Bedeutung aller Nachrichten fuͤr ein großes Weltereigniß bringen Einheit und In- tereſſe hervor. Es liegt am Tage, wie uͤberaus wichtig nun die Nachrichten die hier vorkommen, fuͤr die Periode des dreißigjaͤhrigen Krieges in Deutſchland ſind. Sie erlaͤutern ihn in jedem Momente. Wo der Autor urtheilt oder in ſeiner Perſon referirt, wird man ihm freilich nicht unbedingt zu folgen haben. Hie und da gebrach

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/446>, abgerufen am 25.11.2024.