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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Revolutionäres Zeitalter.
in sich selbst irre gewordenen Katholicismus erhoben, hatte
sich immer mehr consolidirt. Schritt für Schritt drang er
vorwärts; in den Stürmen des Jahres 1789 gelangte er
in den Besitz der Gewalt, einer Gewalt die sich berufen
glaubte das Alte durchaus zu zerstören, eine neue Welt
zu machen; in dem allgemeinen Umsturz, der über das al-
lerchristlichste Reich verhängt ward, traf dann nothwendig
einer der stärksten Schläge auch die geistliche Verfassung.

Es kam alles zusammen: finanzielles Bedürfniß, In-
teresse der Einzelnen wie der Municipalitäten, Gleichgül-
tigkeit oder Haß gegen die bestehende Religion: endlich
machte ein Mitglied des hohen Clerus selbst den Antrag,
der Nation, d. i. der weltlichen Gewalt, und zunächst der
Nationalversammlung das Recht zuzuerkennen, über die geist-
lichen Güter zu verfügen. Bisher waren diese Güter als
ein Eigenthum nicht nur der französischen, sondern zugleich
der allgemeinen Kirche betrachtet worden: zu jeder Veräu-
ßerung war eine Beistimmung des Papstes erforderlich ge-
wesen. Wie entfernt aber lagen die Zeiten, die Ideen,
aus denen Begriffe dieser Art hervorgegangen waren. Jetzt
sprach die Versammlung nach kurzer Debatte sich selbst das
Recht zu, über die Güter zu verfügen, d. i. sie zu veräu-
ßern, und zwar noch mit unbedingterer Befugniß als bei
dem ersten Antrag beabsichtigt war. Unmöglich aber konnte
sie hiebei stehn bleiben. Da durch die Einziehung der
Güter, mit der man keinen Augenblick zögerte, das fernere
Bestehn der bisherigen Verhältnisse unmöglich ward, so
mußte man unverzüglich zu einer neuen Einrichtung schrei-
ten, wie sie in der bürgerlichen Constitution des Clerus zu

Revolutionaͤres Zeitalter.
in ſich ſelbſt irre gewordenen Katholicismus erhoben, hatte
ſich immer mehr conſolidirt. Schritt fuͤr Schritt drang er
vorwaͤrts; in den Stuͤrmen des Jahres 1789 gelangte er
in den Beſitz der Gewalt, einer Gewalt die ſich berufen
glaubte das Alte durchaus zu zerſtoͤren, eine neue Welt
zu machen; in dem allgemeinen Umſturz, der uͤber das al-
lerchriſtlichſte Reich verhaͤngt ward, traf dann nothwendig
einer der ſtaͤrkſten Schlaͤge auch die geiſtliche Verfaſſung.

Es kam alles zuſammen: finanzielles Beduͤrfniß, In-
tereſſe der Einzelnen wie der Municipalitaͤten, Gleichguͤl-
tigkeit oder Haß gegen die beſtehende Religion: endlich
machte ein Mitglied des hohen Clerus ſelbſt den Antrag,
der Nation, d. i. der weltlichen Gewalt, und zunaͤchſt der
Nationalverſammlung das Recht zuzuerkennen, uͤber die geiſt-
lichen Guͤter zu verfuͤgen. Bisher waren dieſe Guͤter als
ein Eigenthum nicht nur der franzoͤſiſchen, ſondern zugleich
der allgemeinen Kirche betrachtet worden: zu jeder Veraͤu-
ßerung war eine Beiſtimmung des Papſtes erforderlich ge-
weſen. Wie entfernt aber lagen die Zeiten, die Ideen,
aus denen Begriffe dieſer Art hervorgegangen waren. Jetzt
ſprach die Verſammlung nach kurzer Debatte ſich ſelbſt das
Recht zu, uͤber die Guͤter zu verfuͤgen, d. i. ſie zu veraͤu-
ßern, und zwar noch mit unbedingterer Befugniß als bei
dem erſten Antrag beabſichtigt war. Unmoͤglich aber konnte
ſie hiebei ſtehn bleiben. Da durch die Einziehung der
Guͤter, mit der man keinen Augenblick zoͤgerte, das fernere
Beſtehn der bisherigen Verhaͤltniſſe unmoͤglich ward, ſo
mußte man unverzuͤglich zu einer neuen Einrichtung ſchrei-
ten, wie ſie in der buͤrgerlichen Conſtitution des Clerus zu

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[205/0217] Revolutionaͤres Zeitalter. in ſich ſelbſt irre gewordenen Katholicismus erhoben, hatte ſich immer mehr conſolidirt. Schritt fuͤr Schritt drang er vorwaͤrts; in den Stuͤrmen des Jahres 1789 gelangte er in den Beſitz der Gewalt, einer Gewalt die ſich berufen glaubte das Alte durchaus zu zerſtoͤren, eine neue Welt zu machen; in dem allgemeinen Umſturz, der uͤber das al- lerchriſtlichſte Reich verhaͤngt ward, traf dann nothwendig einer der ſtaͤrkſten Schlaͤge auch die geiſtliche Verfaſſung. Es kam alles zuſammen: finanzielles Beduͤrfniß, In- tereſſe der Einzelnen wie der Municipalitaͤten, Gleichguͤl- tigkeit oder Haß gegen die beſtehende Religion: endlich machte ein Mitglied des hohen Clerus ſelbſt den Antrag, der Nation, d. i. der weltlichen Gewalt, und zunaͤchſt der Nationalverſammlung das Recht zuzuerkennen, uͤber die geiſt- lichen Guͤter zu verfuͤgen. Bisher waren dieſe Guͤter als ein Eigenthum nicht nur der franzoͤſiſchen, ſondern zugleich der allgemeinen Kirche betrachtet worden: zu jeder Veraͤu- ßerung war eine Beiſtimmung des Papſtes erforderlich ge- weſen. Wie entfernt aber lagen die Zeiten, die Ideen, aus denen Begriffe dieſer Art hervorgegangen waren. Jetzt ſprach die Verſammlung nach kurzer Debatte ſich ſelbſt das Recht zu, uͤber die Guͤter zu verfuͤgen, d. i. ſie zu veraͤu- ßern, und zwar noch mit unbedingterer Befugniß als bei dem erſten Antrag beabſichtigt war. Unmoͤglich aber konnte ſie hiebei ſtehn bleiben. Da durch die Einziehung der Guͤter, mit der man keinen Augenblick zoͤgerte, das fernere Beſtehn der bisherigen Verhaͤltniſſe unmoͤglich ward, ſo mußte man unverzuͤglich zu einer neuen Einrichtung ſchrei- ten, wie ſie in der buͤrgerlichen Conſtitution des Clerus zu

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/217>, abgerufen am 24.11.2024.