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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Venezianische Irrungen.
mischen Juristen. Die einen hielten die Exemtion der Geist-
lichen, wie Bellarmin, für eine Anordnung des göttlichen
Rechtes: die andern behaupteten wenigstens, der Papst habe
sie befehlen dürfen: sie beriefen sich auf die Concilienschlüsse
in denen jene Exemtion ausgesprochen sey: was aber ein
Concilium gedurft, wie viel mehr stehe dieß dem Papste zu.
Leicht waren die ersten widerlegt: den andern bewies Fra
Paolo hauptsächlich, daß die Concilien auf die es ankomme,
von den Fürsten berufen, als Reichsversammlungen anzu-
sehen seyen, von denen auch eine Menge politischer Gesetze
ausgegangen 1). Es ist dieß ein Punkt, auf dem sich die
Lehre, wie sie Fra Paolo und seine Freunde vortrugen,
hauptsächlich mit begründet.

Sie gingen von dem Grundsatze aus, der in Frank-
reich durchgefochten worden, daß die fürstliche Gewalt un-
mittelbar von Gott stamme und Niemand unterworfen
sey. Der Papst habe auch nicht einmal zu untersuchen, ob
die Handlungen eines Staates sündlich seyen oder nicht.
Denn wohin sollte dieß führen? Gebe es denn irgend eine
die nicht wenigstens ihres Endzweckes halber sündlich seyn
könne? Der Papst würde alles zu prüfen, in alles ein-

1) Schreiben Sarpis an Leschasser 3. Februar 1619, in Le-
brets Magazin I, 479. Eine für jene Zeiten um so wichtigere Be-
merkung, da z. B. Mariana aus den spanischen Concilienschlüssen
die ausgedehntesten weltlichen Befugnisse der Geistlichkeit herleitete.
Immer aber wird man zu bemerken haben, daß schon in jenen Zei-
ten die geistlichen und weltlichen Ansprüche entweder vermischt wur-
den oder im Streite lagen. Die alte gothische Monarchie in Spa-
nien hatte wirklich ein sehr starkes geistliches Element. Denn die
alten Gesetze beruhen doch überhaupt auf alten Zuständen.
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Venezianiſche Irrungen.
miſchen Juriſten. Die einen hielten die Exemtion der Geiſt-
lichen, wie Bellarmin, fuͤr eine Anordnung des goͤttlichen
Rechtes: die andern behaupteten wenigſtens, der Papſt habe
ſie befehlen duͤrfen: ſie beriefen ſich auf die Concilienſchluͤſſe
in denen jene Exemtion ausgeſprochen ſey: was aber ein
Concilium gedurft, wie viel mehr ſtehe dieß dem Papſte zu.
Leicht waren die erſten widerlegt: den andern bewies Fra
Paolo hauptſaͤchlich, daß die Concilien auf die es ankomme,
von den Fuͤrſten berufen, als Reichsverſammlungen anzu-
ſehen ſeyen, von denen auch eine Menge politiſcher Geſetze
ausgegangen 1). Es iſt dieß ein Punkt, auf dem ſich die
Lehre, wie ſie Fra Paolo und ſeine Freunde vortrugen,
hauptſaͤchlich mit begruͤndet.

Sie gingen von dem Grundſatze aus, der in Frank-
reich durchgefochten worden, daß die fuͤrſtliche Gewalt un-
mittelbar von Gott ſtamme und Niemand unterworfen
ſey. Der Papſt habe auch nicht einmal zu unterſuchen, ob
die Handlungen eines Staates ſuͤndlich ſeyen oder nicht.
Denn wohin ſollte dieß fuͤhren? Gebe es denn irgend eine
die nicht wenigſtens ihres Endzweckes halber ſuͤndlich ſeyn
koͤnne? Der Papſt wuͤrde alles zu pruͤfen, in alles ein-

1) Schreiben Sarpis an Leſchaſſer 3. Februar 1619, in Le-
brets Magazin I, 479. Eine fuͤr jene Zeiten um ſo wichtigere Be-
merkung, da z. B. Mariana aus den ſpaniſchen Concilienſchluͤſſen
die ausgedehnteſten weltlichen Befugniſſe der Geiſtlichkeit herleitete.
Immer aber wird man zu bemerken haben, daß ſchon in jenen Zei-
ten die geiſtlichen und weltlichen Anſpruͤche entweder vermiſcht wur-
den oder im Streite lagen. Die alte gothiſche Monarchie in Spa-
nien hatte wirklich ein ſehr ſtarkes geiſtliches Element. Denn die
alten Geſetze beruhen doch uͤberhaupt auf alten Zuſtaͤnden.
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[339/0351] Venezianiſche Irrungen. miſchen Juriſten. Die einen hielten die Exemtion der Geiſt- lichen, wie Bellarmin, fuͤr eine Anordnung des goͤttlichen Rechtes: die andern behaupteten wenigſtens, der Papſt habe ſie befehlen duͤrfen: ſie beriefen ſich auf die Concilienſchluͤſſe in denen jene Exemtion ausgeſprochen ſey: was aber ein Concilium gedurft, wie viel mehr ſtehe dieß dem Papſte zu. Leicht waren die erſten widerlegt: den andern bewies Fra Paolo hauptſaͤchlich, daß die Concilien auf die es ankomme, von den Fuͤrſten berufen, als Reichsverſammlungen anzu- ſehen ſeyen, von denen auch eine Menge politiſcher Geſetze ausgegangen 1). Es iſt dieß ein Punkt, auf dem ſich die Lehre, wie ſie Fra Paolo und ſeine Freunde vortrugen, hauptſaͤchlich mit begruͤndet. Sie gingen von dem Grundſatze aus, der in Frank- reich durchgefochten worden, daß die fuͤrſtliche Gewalt un- mittelbar von Gott ſtamme und Niemand unterworfen ſey. Der Papſt habe auch nicht einmal zu unterſuchen, ob die Handlungen eines Staates ſuͤndlich ſeyen oder nicht. Denn wohin ſollte dieß fuͤhren? Gebe es denn irgend eine die nicht wenigſtens ihres Endzweckes halber ſuͤndlich ſeyn koͤnne? Der Papſt wuͤrde alles zu pruͤfen, in alles ein- 1) Schreiben Sarpis an Leſchaſſer 3. Februar 1619, in Le- brets Magazin I, 479. Eine fuͤr jene Zeiten um ſo wichtigere Be- merkung, da z. B. Mariana aus den ſpaniſchen Concilienſchluͤſſen die ausgedehnteſten weltlichen Befugniſſe der Geiſtlichkeit herleitete. Immer aber wird man zu bemerken haben, daß ſchon in jenen Zei- ten die geiſtlichen und weltlichen Anſpruͤche entweder vermiſcht wur- den oder im Streite lagen. Die alte gothiſche Monarchie in Spa- nien hatte wirklich ein ſehr ſtarkes geiſtliches Element. Denn die alten Geſetze beruhen doch uͤberhaupt auf alten Zuſtaͤnden. 22*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/351>, abgerufen am 25.11.2024.