wird man nicht nennen können, zu welchem er sich inner- lich gehalten; es war eine Gesinnung, wie sie sich beson- ders in Männern, die sich den Naturwissenschaften gewid- met, in jenen Zeiten öfter zeigt, von keinem der bestehen- den Lehrsysteme festgehalten; abweichend, forschend; jedoch in sich selbst weder abgeschlossen noch vollkommen ausge- bildet.
So viel aber ist gewiß, daß Fra Paolo dem weltli- chen Einfluß des Papstthums einen entschiedenen unversöhn- lichen Haß widmete. Es ist vielleicht die einzige Leiden- schaft die er hegte. Man hat sie daher leiten wollen, weil ihm ein Bisthum versagt worden, zu dem er vorgeschla- gen war. Und wer möchte wohl den Einfluß einer em- pfindlichen Zurücksetzung, die einem natürlichen Ehrgeize seine Bahn verschließt, auch auf ein männliches Gemüth von vorn herein ableugnen wollen? Jedoch lagen die Dinge hier um vieles tiefer. Es war eine politisch-religiöse Ge- sinnung, die mit allen andern Ueberzeugungen zusammen- hing, sich durch Studien und Erfahrung befestigt hatte, von den Freunden, den Altersgenossen, jenen Männern die sich einst bei Morosini versammelt hatten und jetzt an das Ruder des Staates gelangt waren, getheilt wurde. Vor der Schärfe einer eindringenden Beobachtung verschwanden jene chimärischen Beweise, mit denen die Jesuiten ihre Be- hauptungen zu erhärten versuchten: Lehrsätze, deren eigent- licher Grund doch auch nur in einer aus vorübergegange- nen Lebensmomenten entsprungenen Ergebenheit gegen den römischen Stuhl zu suchen war.
Nicht ohne Mühe überzeugte Sarpi zuerst die einhei-
BuchVIInnere Streitigkeiten.
wird man nicht nennen koͤnnen, zu welchem er ſich inner- lich gehalten; es war eine Geſinnung, wie ſie ſich beſon- ders in Maͤnnern, die ſich den Naturwiſſenſchaften gewid- met, in jenen Zeiten oͤfter zeigt, von keinem der beſtehen- den Lehrſyſteme feſtgehalten; abweichend, forſchend; jedoch in ſich ſelbſt weder abgeſchloſſen noch vollkommen ausge- bildet.
So viel aber iſt gewiß, daß Fra Paolo dem weltli- chen Einfluß des Papſtthums einen entſchiedenen unverſoͤhn- lichen Haß widmete. Es iſt vielleicht die einzige Leiden- ſchaft die er hegte. Man hat ſie daher leiten wollen, weil ihm ein Bisthum verſagt worden, zu dem er vorgeſchla- gen war. Und wer moͤchte wohl den Einfluß einer em- pfindlichen Zuruͤckſetzung, die einem natuͤrlichen Ehrgeize ſeine Bahn verſchließt, auch auf ein maͤnnliches Gemuͤth von vorn herein ableugnen wollen? Jedoch lagen die Dinge hier um vieles tiefer. Es war eine politiſch-religioͤſe Ge- ſinnung, die mit allen andern Ueberzeugungen zuſammen- hing, ſich durch Studien und Erfahrung befeſtigt hatte, von den Freunden, den Altersgenoſſen, jenen Maͤnnern die ſich einſt bei Moroſini verſammelt hatten und jetzt an das Ruder des Staates gelangt waren, getheilt wurde. Vor der Schaͤrfe einer eindringenden Beobachtung verſchwanden jene chimaͤriſchen Beweiſe, mit denen die Jeſuiten ihre Be- hauptungen zu erhaͤrten verſuchten: Lehrſaͤtze, deren eigent- licher Grund doch auch nur in einer aus voruͤbergegange- nen Lebensmomenten entſprungenen Ergebenheit gegen den roͤmiſchen Stuhl zu ſuchen war.
Nicht ohne Muͤhe uͤberzeugte Sarpi zuerſt die einhei-
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Buch VI Innere Streitigkeiten.
wird man nicht nennen koͤnnen, zu welchem er ſich inner-
lich gehalten; es war eine Geſinnung, wie ſie ſich beſon-
ders in Maͤnnern, die ſich den Naturwiſſenſchaften gewid-
met, in jenen Zeiten oͤfter zeigt, von keinem der beſtehen-
den Lehrſyſteme feſtgehalten; abweichend, forſchend; jedoch
in ſich ſelbſt weder abgeſchloſſen noch vollkommen ausge-
bildet.
So viel aber iſt gewiß, daß Fra Paolo dem weltli-
chen Einfluß des Papſtthums einen entſchiedenen unverſoͤhn-
lichen Haß widmete. Es iſt vielleicht die einzige Leiden-
ſchaft die er hegte. Man hat ſie daher leiten wollen, weil
ihm ein Bisthum verſagt worden, zu dem er vorgeſchla-
gen war. Und wer moͤchte wohl den Einfluß einer em-
pfindlichen Zuruͤckſetzung, die einem natuͤrlichen Ehrgeize
ſeine Bahn verſchließt, auch auf ein maͤnnliches Gemuͤth
von vorn herein ableugnen wollen? Jedoch lagen die Dinge
hier um vieles tiefer. Es war eine politiſch-religioͤſe Ge-
ſinnung, die mit allen andern Ueberzeugungen zuſammen-
hing, ſich durch Studien und Erfahrung befeſtigt hatte,
von den Freunden, den Altersgenoſſen, jenen Maͤnnern die
ſich einſt bei Moroſini verſammelt hatten und jetzt an das
Ruder des Staates gelangt waren, getheilt wurde. Vor
der Schaͤrfe einer eindringenden Beobachtung verſchwanden
jene chimaͤriſchen Beweiſe, mit denen die Jeſuiten ihre Be-
hauptungen zu erhaͤrten verſuchten: Lehrſaͤtze, deren eigent-
licher Grund doch auch nur in einer aus voruͤbergegange-
nen Lebensmomenten entſprungenen Ergebenheit gegen den
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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