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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Jesuitische Bewegungen.
Kreise, und bald kehrten die nemlichen wieder. Aber alle
Mal war es ein bedeutender Schlag für die Gesellschaft,
daß es durch innere Empörung und auswärtige Einwir-
kung zu einer Abänderung ihrer Gesetze gekommen war.

Und schon erhob sich in den nemlichen Gegenden noch
ein anderer Sturm.

Die Jesuiten hatten sich anfangs an den Lehrbegriff
der Thomisten gehalten, wie er in den Schulen jener Zeit
überhaupt herrschte. Ignazio hatte seine Schüler aus-
drücklich auf die Lehre des Doctor Angelicus angewiesen.

Gar bald aber glaubten sie zu finden, daß sie mit
diesen Lehren den Protestanten gegenüber nicht ganz zum
Ziele gelangen könnten. Sie wollten in den Doctrinen
selbständig seyn wie im Leben. Es war ihnen unbequem
den Dominicanern nachzutreten, zu denen S. Thomas ge-
hört hatte, und die als die natürlichen Erklärer seiner Mei-
nungen angesehen wurden. Nachdem sie schon früher man-
ches Zeichen dieser Gesinnung gegeben, so daß schon zu-
weilen bei der Inquisition von der freiern Denkart der
Väter Jesuiten die Rede war 1), so trat Aquaviva 1584
in seiner Studienordnung offen mit derselben hervor. Er
meint, S. Thomas sey zwar der beifallswürdigste Autor,
doch würde es ein unerträgliches Joch seyn, in allen Din-
gen seinen Fußtapfen folgen, gar keine freien Meinungen
hegen zu sollen. Von neuern Theologen sey manche alte
Lehre besser begründet, manche neue vorgetragen worden,

1) Lainez selbst war der spanischen Inquisition verdächtig. Llo-
rente III,
83

Jeſuitiſche Bewegungen.
Kreiſe, und bald kehrten die nemlichen wieder. Aber alle
Mal war es ein bedeutender Schlag fuͤr die Geſellſchaft,
daß es durch innere Empoͤrung und auswaͤrtige Einwir-
kung zu einer Abaͤnderung ihrer Geſetze gekommen war.

Und ſchon erhob ſich in den nemlichen Gegenden noch
ein anderer Sturm.

Die Jeſuiten hatten ſich anfangs an den Lehrbegriff
der Thomiſten gehalten, wie er in den Schulen jener Zeit
uͤberhaupt herrſchte. Ignazio hatte ſeine Schuͤler aus-
druͤcklich auf die Lehre des Doctor Angelicus angewieſen.

Gar bald aber glaubten ſie zu finden, daß ſie mit
dieſen Lehren den Proteſtanten gegenuͤber nicht ganz zum
Ziele gelangen koͤnnten. Sie wollten in den Doctrinen
ſelbſtaͤndig ſeyn wie im Leben. Es war ihnen unbequem
den Dominicanern nachzutreten, zu denen S. Thomas ge-
hoͤrt hatte, und die als die natuͤrlichen Erklaͤrer ſeiner Mei-
nungen angeſehen wurden. Nachdem ſie ſchon fruͤher man-
ches Zeichen dieſer Geſinnung gegeben, ſo daß ſchon zu-
weilen bei der Inquiſition von der freiern Denkart der
Vaͤter Jeſuiten die Rede war 1), ſo trat Aquaviva 1584
in ſeiner Studienordnung offen mit derſelben hervor. Er
meint, S. Thomas ſey zwar der beifallswuͤrdigſte Autor,
doch wuͤrde es ein unertraͤgliches Joch ſeyn, in allen Din-
gen ſeinen Fußtapfen folgen, gar keine freien Meinungen
hegen zu ſollen. Von neuern Theologen ſey manche alte
Lehre beſſer begruͤndet, manche neue vorgetragen worden,

1) Lainez ſelbſt war der ſpaniſchen Inquiſition verdaͤchtig. Llo-
rente III,
83
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[293/0305] Jeſuitiſche Bewegungen. Kreiſe, und bald kehrten die nemlichen wieder. Aber alle Mal war es ein bedeutender Schlag fuͤr die Geſellſchaft, daß es durch innere Empoͤrung und auswaͤrtige Einwir- kung zu einer Abaͤnderung ihrer Geſetze gekommen war. Und ſchon erhob ſich in den nemlichen Gegenden noch ein anderer Sturm. Die Jeſuiten hatten ſich anfangs an den Lehrbegriff der Thomiſten gehalten, wie er in den Schulen jener Zeit uͤberhaupt herrſchte. Ignazio hatte ſeine Schuͤler aus- druͤcklich auf die Lehre des Doctor Angelicus angewieſen. Gar bald aber glaubten ſie zu finden, daß ſie mit dieſen Lehren den Proteſtanten gegenuͤber nicht ganz zum Ziele gelangen koͤnnten. Sie wollten in den Doctrinen ſelbſtaͤndig ſeyn wie im Leben. Es war ihnen unbequem den Dominicanern nachzutreten, zu denen S. Thomas ge- hoͤrt hatte, und die als die natuͤrlichen Erklaͤrer ſeiner Mei- nungen angeſehen wurden. Nachdem ſie ſchon fruͤher man- ches Zeichen dieſer Geſinnung gegeben, ſo daß ſchon zu- weilen bei der Inquiſition von der freiern Denkart der Vaͤter Jeſuiten die Rede war 1), ſo trat Aquaviva 1584 in ſeiner Studienordnung offen mit derſelben hervor. Er meint, S. Thomas ſey zwar der beifallswuͤrdigſte Autor, doch wuͤrde es ein unertraͤgliches Joch ſeyn, in allen Din- gen ſeinen Fußtapfen folgen, gar keine freien Meinungen hegen zu ſollen. Von neuern Theologen ſey manche alte Lehre beſſer begruͤndet, manche neue vorgetragen worden, 1) Lainez ſelbſt war der ſpaniſchen Inquiſition verdaͤchtig. Llo- rente III, 83

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/305>, abgerufen am 23.11.2024.