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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Lage des Protestantismus um das Jahr 1563.
ergossen: in Ungarn, Polen und Deutschland bildete sie ein
zwar noch untergeordnetes, jedoch schon in sich bedeuten-
des Element der protestantischen Entwickelung: im westli-
chen Europa erhob sie sich bereits zu selbständiger Gewalt.

Wie die scandinavischen Reiche lutherisch, so waren
die britannischen calvinistisch geworden: sogar in entge-
gengesetzten Formen hatte sich die neue Kirche hier ausge-
bildet. In Schottland, wo sie im Kampfe mit der Re-
gierung zur Gewalt gelangt, war sie arm, populär, demo-
kratisch: mit desto unwiderstehlicherem Feuer erfüllte sie die
Gemüther. In England war sie im Bunde mit der da-
maligen Regierung emporgekommen: hier war sie reich, mo-
narchisch, prächtig; auch gab sie sich schon zufrieden, wenn
man sich ihrem Ritus nur nicht widersetzte. Natürlich
war die erste dem Muster der Genfer Kirche unendlich viel
näher, unendlich viel mehr in dem Geiste Calvins.

Mit aller ihrer natürlichen Lebhaftigkeit hatte die fran-
zösische Nation die Lehren dieses ihres Landsmanns ergrif-
fen. Allen Verfolgungen zum Trotz richteten sich die fran-
zösischen Kirchen nach dem Muster von Genf protestantisch
ein: bereits im Jahre 1559 hielten sie eine Synode. Der
venezianische Gesandte Micheli findet im Jahre 1561 keine
Provinz vom Protestantismus frei, drei Viertheil des Reiches
von demselben erfüllt: -- Bretagne und Normandie, Gascogne
und Languedoc, Poitou, Touraine, Provence, Dauphine.
"An vielen Orten," sagt er, "in diesen Provinzen werden Ver-
sammlungen, Predigten gehalten, Lebenseinrichtungen ge-
troffen, ganz nach dem Vorbilde von Genf, ohne alle Rück-
sicht auf die königlichen Verbote. Jedermann hat diese

Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.
ergoſſen: in Ungarn, Polen und Deutſchland bildete ſie ein
zwar noch untergeordnetes, jedoch ſchon in ſich bedeuten-
des Element der proteſtantiſchen Entwickelung: im weſtli-
chen Europa erhob ſie ſich bereits zu ſelbſtaͤndiger Gewalt.

Wie die ſcandinaviſchen Reiche lutheriſch, ſo waren
die britanniſchen calviniſtiſch geworden: ſogar in entge-
gengeſetzten Formen hatte ſich die neue Kirche hier ausge-
bildet. In Schottland, wo ſie im Kampfe mit der Re-
gierung zur Gewalt gelangt, war ſie arm, populaͤr, demo-
kratiſch: mit deſto unwiderſtehlicherem Feuer erfuͤllte ſie die
Gemuͤther. In England war ſie im Bunde mit der da-
maligen Regierung emporgekommen: hier war ſie reich, mo-
narchiſch, praͤchtig; auch gab ſie ſich ſchon zufrieden, wenn
man ſich ihrem Ritus nur nicht widerſetzte. Natuͤrlich
war die erſte dem Muſter der Genfer Kirche unendlich viel
naͤher, unendlich viel mehr in dem Geiſte Calvins.

Mit aller ihrer natuͤrlichen Lebhaftigkeit hatte die fran-
zoͤſiſche Nation die Lehren dieſes ihres Landsmanns ergrif-
fen. Allen Verfolgungen zum Trotz richteten ſich die fran-
zoͤſiſchen Kirchen nach dem Muſter von Genf proteſtantiſch
ein: bereits im Jahre 1559 hielten ſie eine Synode. Der
venezianiſche Geſandte Micheli findet im Jahre 1561 keine
Provinz vom Proteſtantismus frei, drei Viertheil des Reiches
von demſelben erfuͤllt: — Bretagne und Normandie, Gascogne
und Languedoc, Poitou, Touraine, Provence, Dauphiné.
„An vielen Orten,“ ſagt er, „in dieſen Provinzen werden Ver-
ſammlungen, Predigten gehalten, Lebenseinrichtungen ge-
troffen, ganz nach dem Vorbilde von Genf, ohne alle Ruͤck-
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[15/0027] Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563. ergoſſen: in Ungarn, Polen und Deutſchland bildete ſie ein zwar noch untergeordnetes, jedoch ſchon in ſich bedeuten- des Element der proteſtantiſchen Entwickelung: im weſtli- chen Europa erhob ſie ſich bereits zu ſelbſtaͤndiger Gewalt. Wie die ſcandinaviſchen Reiche lutheriſch, ſo waren die britanniſchen calviniſtiſch geworden: ſogar in entge- gengeſetzten Formen hatte ſich die neue Kirche hier ausge- bildet. In Schottland, wo ſie im Kampfe mit der Re- gierung zur Gewalt gelangt, war ſie arm, populaͤr, demo- kratiſch: mit deſto unwiderſtehlicherem Feuer erfuͤllte ſie die Gemuͤther. In England war ſie im Bunde mit der da- maligen Regierung emporgekommen: hier war ſie reich, mo- narchiſch, praͤchtig; auch gab ſie ſich ſchon zufrieden, wenn man ſich ihrem Ritus nur nicht widerſetzte. Natuͤrlich war die erſte dem Muſter der Genfer Kirche unendlich viel naͤher, unendlich viel mehr in dem Geiſte Calvins. Mit aller ihrer natuͤrlichen Lebhaftigkeit hatte die fran- zoͤſiſche Nation die Lehren dieſes ihres Landsmanns ergrif- fen. Allen Verfolgungen zum Trotz richteten ſich die fran- zoͤſiſchen Kirchen nach dem Muſter von Genf proteſtantiſch ein: bereits im Jahre 1559 hielten ſie eine Synode. Der venezianiſche Geſandte Micheli findet im Jahre 1561 keine Provinz vom Proteſtantismus frei, drei Viertheil des Reiches von demſelben erfuͤllt: — Bretagne und Normandie, Gascogne und Languedoc, Poitou, Touraine, Provence, Dauphiné. „An vielen Orten,“ ſagt er, „in dieſen Provinzen werden Ver- ſammlungen, Predigten gehalten, Lebenseinrichtungen ge- troffen, ganz nach dem Vorbilde von Genf, ohne alle Ruͤck- ſicht auf die koͤniglichen Verbote. Jedermann hat dieſe

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/27>, abgerufen am 29.03.2024.