bildete sich hier ein neuer Mittelpunkt für die katholische Welt, von dem eine große Wirkung ausgehn mußte.
Näher betrachtet sprangen dann zwei verschiedene Sei- ten dieses Erfolges hervor.
Nicht durch unmittelbare Einwirkung des Papstes, nicht durch einen Sieg der strengen Partei war Frankreich wieder gewonnen: es war vielmehr durch eine Vereinigung der gemäßigten, mittleren Meinungen, durch die Ueberlegen- heit einer Gesinnung, die sich als Opposition constituirt hatte, geschehen. Daher kam es, daß die französische Kirche eine ganz andere Stellung einnahm, als die italienische, als die niederländische, die neu eingerichtete deutsche. Sie un- terwarf sich dem Papst, aber sie that es mit einer Frei- heit und innern Selbständigkeit, die sich auf ihren Ur- sprung gründete, deren Gefühl sich niemals wieder verlor. In so fern konnte der päpstliche Stuhl Frankreich bei weitem nicht als eine reine Eroberung betrachten.
Um so vortheilhafter aber war ihm die andere, die po- litische Seite. Das verlorene Gleichgewicht war hergestellt: -- zwei große, auf einander eifersüchtige, in unaufhörli- chem Wettstreit begriffene Mächte hielten einander wechsel- seitig in Schranken: beide waren katholisch und konnten doch zuletzt in Einem Sinne geleitet werden: zwischen bei- den aber nahm der Papst eine weit unabhängigere Stel- lung ein, als es ihm und seinen Vorgängern lange Zeit möglich gewesen. Von den Banden, mit denen ihn bis- her das spanische Uebergewicht umfaßt hatte, ward er um vieles freier.
Zuerst tritt in dem Fortgange der Begebenheiten diese
Abſolution HeinrichsIV.
bildete ſich hier ein neuer Mittelpunkt fuͤr die katholiſche Welt, von dem eine große Wirkung ausgehn mußte.
Naͤher betrachtet ſprangen dann zwei verſchiedene Sei- ten dieſes Erfolges hervor.
Nicht durch unmittelbare Einwirkung des Papſtes, nicht durch einen Sieg der ſtrengen Partei war Frankreich wieder gewonnen: es war vielmehr durch eine Vereinigung der gemaͤßigten, mittleren Meinungen, durch die Ueberlegen- heit einer Geſinnung, die ſich als Oppoſition conſtituirt hatte, geſchehen. Daher kam es, daß die franzoͤſiſche Kirche eine ganz andere Stellung einnahm, als die italieniſche, als die niederlaͤndiſche, die neu eingerichtete deutſche. Sie un- terwarf ſich dem Papſt, aber ſie that es mit einer Frei- heit und innern Selbſtaͤndigkeit, die ſich auf ihren Ur- ſprung gruͤndete, deren Gefuͤhl ſich niemals wieder verlor. In ſo fern konnte der paͤpſtliche Stuhl Frankreich bei weitem nicht als eine reine Eroberung betrachten.
Um ſo vortheilhafter aber war ihm die andere, die po- litiſche Seite. Das verlorene Gleichgewicht war hergeſtellt: — zwei große, auf einander eiferſuͤchtige, in unaufhoͤrli- chem Wettſtreit begriffene Maͤchte hielten einander wechſel- ſeitig in Schranken: beide waren katholiſch und konnten doch zuletzt in Einem Sinne geleitet werden: zwiſchen bei- den aber nahm der Papſt eine weit unabhaͤngigere Stel- lung ein, als es ihm und ſeinen Vorgaͤngern lange Zeit moͤglich geweſen. Von den Banden, mit denen ihn bis- her das ſpaniſche Uebergewicht umfaßt hatte, ward er um vieles freier.
Zuerſt tritt in dem Fortgange der Begebenheiten dieſe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0267"n="255"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Abſolution Heinrichs</hi><hirendition="#aq">IV.</hi></fw><lb/>
bildete ſich hier ein neuer Mittelpunkt fuͤr die katholiſche<lb/>
Welt, von dem eine große Wirkung ausgehn mußte.</p><lb/><p>Naͤher betrachtet ſprangen dann zwei verſchiedene Sei-<lb/>
ten dieſes Erfolges hervor.</p><lb/><p>Nicht durch unmittelbare Einwirkung des Papſtes,<lb/>
nicht durch einen Sieg der ſtrengen Partei war Frankreich<lb/>
wieder gewonnen: es war vielmehr durch eine Vereinigung<lb/>
der gemaͤßigten, mittleren Meinungen, durch die Ueberlegen-<lb/>
heit einer Geſinnung, die ſich als Oppoſition conſtituirt hatte,<lb/>
geſchehen. Daher kam es, daß die franzoͤſiſche Kirche eine<lb/>
ganz andere Stellung einnahm, als die italieniſche, als<lb/>
die niederlaͤndiſche, die neu eingerichtete deutſche. Sie un-<lb/>
terwarf ſich dem Papſt, aber ſie that es mit einer Frei-<lb/>
heit und innern Selbſtaͤndigkeit, die ſich auf ihren Ur-<lb/>ſprung gruͤndete, deren Gefuͤhl ſich niemals wieder verlor.<lb/>
In ſo fern konnte der paͤpſtliche Stuhl Frankreich bei weitem<lb/>
nicht als eine reine Eroberung betrachten.</p><lb/><p>Um ſo vortheilhafter aber war ihm die andere, die po-<lb/>
litiſche Seite. Das verlorene Gleichgewicht war hergeſtellt:<lb/>— zwei große, auf einander eiferſuͤchtige, in unaufhoͤrli-<lb/>
chem Wettſtreit begriffene Maͤchte hielten einander wechſel-<lb/>ſeitig in Schranken: beide waren katholiſch und konnten<lb/>
doch zuletzt in Einem Sinne geleitet werden: zwiſchen bei-<lb/>
den aber nahm der Papſt eine weit unabhaͤngigere Stel-<lb/>
lung ein, als es ihm und ſeinen Vorgaͤngern lange Zeit<lb/>
moͤglich geweſen. Von den Banden, mit denen ihn bis-<lb/>
her das ſpaniſche Uebergewicht umfaßt hatte, ward er um<lb/>
vieles freier.</p><lb/><p>Zuerſt tritt in dem Fortgange der Begebenheiten dieſe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[255/0267]
Abſolution Heinrichs IV.
bildete ſich hier ein neuer Mittelpunkt fuͤr die katholiſche
Welt, von dem eine große Wirkung ausgehn mußte.
Naͤher betrachtet ſprangen dann zwei verſchiedene Sei-
ten dieſes Erfolges hervor.
Nicht durch unmittelbare Einwirkung des Papſtes,
nicht durch einen Sieg der ſtrengen Partei war Frankreich
wieder gewonnen: es war vielmehr durch eine Vereinigung
der gemaͤßigten, mittleren Meinungen, durch die Ueberlegen-
heit einer Geſinnung, die ſich als Oppoſition conſtituirt hatte,
geſchehen. Daher kam es, daß die franzoͤſiſche Kirche eine
ganz andere Stellung einnahm, als die italieniſche, als
die niederlaͤndiſche, die neu eingerichtete deutſche. Sie un-
terwarf ſich dem Papſt, aber ſie that es mit einer Frei-
heit und innern Selbſtaͤndigkeit, die ſich auf ihren Ur-
ſprung gruͤndete, deren Gefuͤhl ſich niemals wieder verlor.
In ſo fern konnte der paͤpſtliche Stuhl Frankreich bei weitem
nicht als eine reine Eroberung betrachten.
Um ſo vortheilhafter aber war ihm die andere, die po-
litiſche Seite. Das verlorene Gleichgewicht war hergeſtellt:
— zwei große, auf einander eiferſuͤchtige, in unaufhoͤrli-
chem Wettſtreit begriffene Maͤchte hielten einander wechſel-
ſeitig in Schranken: beide waren katholiſch und konnten
doch zuletzt in Einem Sinne geleitet werden: zwiſchen bei-
den aber nahm der Papſt eine weit unabhaͤngigere Stel-
lung ein, als es ihm und ſeinen Vorgaͤngern lange Zeit
moͤglich geweſen. Von den Banden, mit denen ihn bis-
her das ſpaniſche Uebergewicht umfaßt hatte, ward er um
vieles freier.
Zuerſt tritt in dem Fortgange der Begebenheiten dieſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/267>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.