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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Lage des Protestantismus um das Jahr 1563.
herrschaft: auch die Mainzer trugen kein Bedenken, ihre
Kinder in die protestantischen Schulen, z. B. nach Nürnberg,
zu schicken. Commendone, welcher im Jahre 1561 in
Deutschland war, kann nicht Worte genug finden, um die
Abhängigkeit der Prälaten von den lutherischen Fürsten,
ihre Nachgiebigkeit gegen den Protestantismus zu schil-
dern 1). In ihren geheimen Räthen meint er Protestan-
ten von der heftigsten Partei zu bemerken 2). Er ist erstaunt,
daß die Zeit dem Katholicismus so gar nichts geholfen.

Auch in Westphalen stand es wie anderwärts. Am
Tage St. Peters war das ganze Landvolk mit der Ernte
beschäftigt: die gebotenen Fasttage wurden überhaupt nicht
mehr gehalten. In Paderborn hielt der Stadtrath mit ei-
ner Art von Eifersucht über seinem protestantischen Bekennt-
niß; in Münster waren die meisten Priester förmlich ver-
heirathet; der Herzog Wilhelm von Cleve hielt sich zwar
im Ganzen katholisch, aber in seiner Hauscapelle nahm
doch auch er das Abendmahl unter beiden Gestalten: der
größte Theil seiner Räthe war unverholen protestantisch:
der evangelischen Uebung ward kein wesentliches Hinderniß
entgegengesetzt 3).

Genug in ganz Deutschland von Westen nach Osten,

1) Gratiani: Vie de Commendon p. 116.
2) De' piu arrabbiati heretici. -- Mi e parso che il tempo
non habbia apportato alcun giovamento. Commendone: Rela-
tione dello stato della religione in Germania. Ms. Vallicell.
3) Tempesti: Vita di Sisto V. aus dem Anonymo di Cam-
pidoglio I, XXIII. Da molt' anni si comunicava con ambe
le specie, quantunque il suo capellano glien' havesse parlato
inducendolo a comunicarsi cosi nella sua capella segreta per
non dar mal esempio a' sudditi.

Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.
herrſchaft: auch die Mainzer trugen kein Bedenken, ihre
Kinder in die proteſtantiſchen Schulen, z. B. nach Nuͤrnberg,
zu ſchicken. Commendone, welcher im Jahre 1561 in
Deutſchland war, kann nicht Worte genug finden, um die
Abhaͤngigkeit der Praͤlaten von den lutheriſchen Fuͤrſten,
ihre Nachgiebigkeit gegen den Proteſtantismus zu ſchil-
dern 1). In ihren geheimen Raͤthen meint er Proteſtan-
ten von der heftigſten Partei zu bemerken 2). Er iſt erſtaunt,
daß die Zeit dem Katholicismus ſo gar nichts geholfen.

Auch in Weſtphalen ſtand es wie anderwaͤrts. Am
Tage St. Peters war das ganze Landvolk mit der Ernte
beſchaͤftigt: die gebotenen Faſttage wurden uͤberhaupt nicht
mehr gehalten. In Paderborn hielt der Stadtrath mit ei-
ner Art von Eiferſucht uͤber ſeinem proteſtantiſchen Bekennt-
niß; in Muͤnſter waren die meiſten Prieſter foͤrmlich ver-
heirathet; der Herzog Wilhelm von Cleve hielt ſich zwar
im Ganzen katholiſch, aber in ſeiner Hauscapelle nahm
doch auch er das Abendmahl unter beiden Geſtalten: der
groͤßte Theil ſeiner Raͤthe war unverholen proteſtantiſch:
der evangeliſchen Uebung ward kein weſentliches Hinderniß
entgegengeſetzt 3).

Genug in ganz Deutſchland von Weſten nach Oſten,

1) Gratiani: Vie de Commendon p. 116.
2) De’ più arrabbiati heretici. — Mi è parso che il tempo
non habbia apportato alcun giovamento. Commendone: Rela-
tione dello stato della religione in Germania. Ms. Vallicell.
3) Tempesti: Vita di Sisto V. aus dem Anonymo di Cam-
pidoglio I, XXIII. Da molt’ anni si comunicava con ambe
le specie, quantunque il suo capellano glien’ havesse parlato
inducendolo a comunicarsi così nella sua capella segreta per
non dar mal esempio a’ sudditi.
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[11/0023] Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563. herrſchaft: auch die Mainzer trugen kein Bedenken, ihre Kinder in die proteſtantiſchen Schulen, z. B. nach Nuͤrnberg, zu ſchicken. Commendone, welcher im Jahre 1561 in Deutſchland war, kann nicht Worte genug finden, um die Abhaͤngigkeit der Praͤlaten von den lutheriſchen Fuͤrſten, ihre Nachgiebigkeit gegen den Proteſtantismus zu ſchil- dern 1). In ihren geheimen Raͤthen meint er Proteſtan- ten von der heftigſten Partei zu bemerken 2). Er iſt erſtaunt, daß die Zeit dem Katholicismus ſo gar nichts geholfen. Auch in Weſtphalen ſtand es wie anderwaͤrts. Am Tage St. Peters war das ganze Landvolk mit der Ernte beſchaͤftigt: die gebotenen Faſttage wurden uͤberhaupt nicht mehr gehalten. In Paderborn hielt der Stadtrath mit ei- ner Art von Eiferſucht uͤber ſeinem proteſtantiſchen Bekennt- niß; in Muͤnſter waren die meiſten Prieſter foͤrmlich ver- heirathet; der Herzog Wilhelm von Cleve hielt ſich zwar im Ganzen katholiſch, aber in ſeiner Hauscapelle nahm doch auch er das Abendmahl unter beiden Geſtalten: der groͤßte Theil ſeiner Raͤthe war unverholen proteſtantiſch: der evangeliſchen Uebung ward kein weſentliches Hinderniß entgegengeſetzt 3). Genug in ganz Deutſchland von Weſten nach Oſten, 1) Gratiani: Vie de Commendon p. 116. 2) De’ più arrabbiati heretici. — Mi è parso che il tempo non habbia apportato alcun giovamento. Commendone: Rela- tione dello stato della religione in Germania. Ms. Vallicell. 3) Tempesti: Vita di Sisto V. aus dem Anonymo di Cam- pidoglio I, XXIII. Da molt’ anni si comunicava con ambe le specie, quantunque il suo capellano glien’ havesse parlato inducendolo a comunicarsi così nella sua capella segreta per non dar mal esempio a’ sudditi.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/23>, abgerufen am 16.04.2024.