Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstständige Ausbildung der Hierarchie.
rakter, den das Leben überhaupt angenommen, der Gang
der Ereignisse mußte ihm eine solche an und für sich zu
Wege bringen. Wenn Länder, so lange verloren, wie Spa-
nien, endlich dem Mahumedanismus, -- Provinzen, die
noch nie erworben gewesen, wie Preußen, dem Heidenthume
abgewonnen und mit christlichen Völkern besetzt wurden;
wenn selbst die Hauptstädte des griechischen Glaubens sich
dem lateinischen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun-
derttausende auszogen, um die Fahne des Kreuzes über dem
heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberpriester,
der in allen diesen Unternehmungen seine Hand hatte, und
den Gehorsam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli-
ches Ansehn genießen? Unter seiner Leitung, in seinem Na-
men breiten sich die abendländischen Nationen, als wären
sie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und suchen die
Welt einzunehmen. Man kann sich nicht wundern, wenn
er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autorität
ausübt, wenn ein König von England sein Reich von ihm
zu Lehen nimmt, ein König von Aragon das seine dem
Apostel Petrus aufträgt, wenn Neapel wirklich durch den
Papst an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare
Physiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan-
zen Fülle und Wahrheit vergegenwärtigt hat. Es ist die
außerordentlichste Combination von innerem Zwist und
glänzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge-
horsam, von geistlichem und weltlichem Wesen. Wie hat
doch die Frömmigkeit selbst einen so widersprechenden Cha-
rakter! Zuweilen zieht sie sich in das rauhe Gebirg, in das
einsame Waldthal zurück: um alle ihre Tage in harmloser

Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.
rakter, den das Leben uͤberhaupt angenommen, der Gang
der Ereigniſſe mußte ihm eine ſolche an und fuͤr ſich zu
Wege bringen. Wenn Laͤnder, ſo lange verloren, wie Spa-
nien, endlich dem Mahumedanismus, — Provinzen, die
noch nie erworben geweſen, wie Preußen, dem Heidenthume
abgewonnen und mit chriſtlichen Voͤlkern beſetzt wurden;
wenn ſelbſt die Hauptſtaͤdte des griechiſchen Glaubens ſich
dem lateiniſchen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun-
derttauſende auszogen, um die Fahne des Kreuzes uͤber dem
heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberprieſter,
der in allen dieſen Unternehmungen ſeine Hand hatte, und
den Gehorſam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli-
ches Anſehn genießen? Unter ſeiner Leitung, in ſeinem Na-
men breiten ſich die abendlaͤndiſchen Nationen, als waͤren
ſie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und ſuchen die
Welt einzunehmen. Man kann ſich nicht wundern, wenn
er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autoritaͤt
ausuͤbt, wenn ein Koͤnig von England ſein Reich von ihm
zu Lehen nimmt, ein Koͤnig von Aragon das ſeine dem
Apoſtel Petrus auftraͤgt, wenn Neapel wirklich durch den
Papſt an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare
Phyſiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan-
zen Fuͤlle und Wahrheit vergegenwaͤrtigt hat. Es iſt die
außerordentlichſte Combination von innerem Zwiſt und
glaͤnzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge-
horſam, von geiſtlichem und weltlichem Weſen. Wie hat
doch die Froͤmmigkeit ſelbſt einen ſo widerſprechenden Cha-
rakter! Zuweilen zieht ſie ſich in das rauhe Gebirg, in das
einſame Waldthal zuruͤck: um alle ihre Tage in harmloſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0057" n="31"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndige Ausbildung der Hierarchie</hi>.</fw><lb/>
rakter, den das Leben u&#x0364;berhaupt angenommen, der Gang<lb/>
der Ereigni&#x017F;&#x017F;e mußte ihm eine &#x017F;olche an und fu&#x0364;r &#x017F;ich zu<lb/>
Wege bringen. Wenn La&#x0364;nder, &#x017F;o lange verloren, wie Spa-<lb/>
nien, endlich dem Mahumedanismus, &#x2014; Provinzen, die<lb/>
noch nie erworben gewe&#x017F;en, wie Preußen, dem Heidenthume<lb/>
abgewonnen und mit chri&#x017F;tlichen Vo&#x0364;lkern be&#x017F;etzt wurden;<lb/>
wenn &#x017F;elb&#x017F;t die Haupt&#x017F;ta&#x0364;dte des griechi&#x017F;chen Glaubens &#x017F;ich<lb/>
dem lateini&#x017F;chen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun-<lb/>
derttau&#x017F;ende auszogen, um die Fahne des Kreuzes u&#x0364;ber dem<lb/>
heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberprie&#x017F;ter,<lb/>
der in allen die&#x017F;en Unternehmungen &#x017F;eine Hand hatte, und<lb/>
den Gehor&#x017F;am der Unterworfenen empfing, ein unermeßli-<lb/>
ches An&#x017F;ehn genießen? Unter &#x017F;einer Leitung, in &#x017F;einem Na-<lb/>
men breiten &#x017F;ich die abendla&#x0364;ndi&#x017F;chen Nationen, als wa&#x0364;ren<lb/>
&#x017F;ie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und &#x017F;uchen die<lb/>
Welt einzunehmen. Man kann &#x017F;ich nicht wundern, wenn<lb/>
er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autorita&#x0364;t<lb/>
ausu&#x0364;bt, wenn ein Ko&#x0364;nig von England &#x017F;ein Reich von ihm<lb/>
zu Lehen nimmt, ein Ko&#x0364;nig von Aragon das &#x017F;eine dem<lb/>
Apo&#x017F;tel Petrus auftra&#x0364;gt, wenn Neapel wirklich durch den<lb/>
Pap&#x017F;t an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare<lb/>
Phy&#x017F;iognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan-<lb/>
zen Fu&#x0364;lle und Wahrheit vergegenwa&#x0364;rtigt hat. Es i&#x017F;t die<lb/>
außerordentlich&#x017F;te Combination von innerem Zwi&#x017F;t und<lb/>
gla&#x0364;nzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge-<lb/>
hor&#x017F;am, von gei&#x017F;tlichem und weltlichem We&#x017F;en. Wie hat<lb/>
doch die Fro&#x0364;mmigkeit &#x017F;elb&#x017F;t einen &#x017F;o wider&#x017F;prechenden Cha-<lb/>
rakter! Zuweilen zieht &#x017F;ie &#x017F;ich in das rauhe Gebirg, in das<lb/>
ein&#x017F;ame Waldthal zuru&#x0364;ck: um alle ihre Tage in harmlo&#x017F;er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0057] Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie. rakter, den das Leben uͤberhaupt angenommen, der Gang der Ereigniſſe mußte ihm eine ſolche an und fuͤr ſich zu Wege bringen. Wenn Laͤnder, ſo lange verloren, wie Spa- nien, endlich dem Mahumedanismus, — Provinzen, die noch nie erworben geweſen, wie Preußen, dem Heidenthume abgewonnen und mit chriſtlichen Voͤlkern beſetzt wurden; wenn ſelbſt die Hauptſtaͤdte des griechiſchen Glaubens ſich dem lateiniſchen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun- derttauſende auszogen, um die Fahne des Kreuzes uͤber dem heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberprieſter, der in allen dieſen Unternehmungen ſeine Hand hatte, und den Gehorſam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli- ches Anſehn genießen? Unter ſeiner Leitung, in ſeinem Na- men breiten ſich die abendlaͤndiſchen Nationen, als waͤren ſie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und ſuchen die Welt einzunehmen. Man kann ſich nicht wundern, wenn er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autoritaͤt ausuͤbt, wenn ein Koͤnig von England ſein Reich von ihm zu Lehen nimmt, ein Koͤnig von Aragon das ſeine dem Apoſtel Petrus auftraͤgt, wenn Neapel wirklich durch den Papſt an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare Phyſiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan- zen Fuͤlle und Wahrheit vergegenwaͤrtigt hat. Es iſt die außerordentlichſte Combination von innerem Zwiſt und glaͤnzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge- horſam, von geiſtlichem und weltlichem Weſen. Wie hat doch die Froͤmmigkeit ſelbſt einen ſo widerſprechenden Cha- rakter! Zuweilen zieht ſie ſich in das rauhe Gebirg, in das einſame Waldthal zuruͤck: um alle ihre Tage in harmloſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/57
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/57>, abgerufen am 06.05.2024.