Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Buch IV. Staat und Hof. nommen hat. Es ist das nemliche Werk, und doch einganz anderes. Aller Reiz, alle Frische des ursprünglichen Gedichts ist verwischt. Wenn man ein wenig tiefer ein- geht, so wird man finden, daß der Autor allenthalben statt des Individuellen ein Allgemein-gültiges, statt des rücksichtslosen Ausdruckes einer schönen und lebendigen Na- tur eine Art von gesellschaftlichem Decorum untergeschoben hat, wie sie die damalige und die spätere italienische Welt forderte 1). Er traf es damit vollkommen. Mit einem unglaublichen Beifall wurde sein Werk aufgenommen: die Ueberarbeitung hat das ursprüngliche Gedicht durchaus ver- drängt. Und wie rasch hatte sich diese Umwandelung voll- zogen. Seit der ersten Ausgabe waren noch nicht funfzig Jahr verflossen. Man kann diesen veränderten Grundton, diese Ader Es ist nicht grade Mangel an Talent, was die gro- 1) Ich suche dieß in der oben bezeichneten akademischen Ab-
handlung näher auszuführen. Buch IV. Staat und Hof. nommen hat. Es iſt das nemliche Werk, und doch einganz anderes. Aller Reiz, alle Friſche des urſpruͤnglichen Gedichts iſt verwiſcht. Wenn man ein wenig tiefer ein- geht, ſo wird man finden, daß der Autor allenthalben ſtatt des Individuellen ein Allgemein-guͤltiges, ſtatt des ruͤckſichtsloſen Ausdruckes einer ſchoͤnen und lebendigen Na- tur eine Art von geſellſchaftlichem Decorum untergeſchoben hat, wie ſie die damalige und die ſpaͤtere italieniſche Welt forderte 1). Er traf es damit vollkommen. Mit einem unglaublichen Beifall wurde ſein Werk aufgenommen: die Ueberarbeitung hat das urſpruͤngliche Gedicht durchaus ver- draͤngt. Und wie raſch hatte ſich dieſe Umwandelung voll- zogen. Seit der erſten Ausgabe waren noch nicht funfzig Jahr verfloſſen. Man kann dieſen veraͤnderten Grundton, dieſe Ader Es iſt nicht grade Mangel an Talent, was die gro- 1) Ich ſuche dieß in der oben bezeichneten akademiſchen Ab-
handlung naͤher auszufuͤhren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0512" n="486"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">IV.</hi><hi rendition="#g">Staat und Hof</hi>.</fw><lb/> nommen hat. Es iſt das nemliche Werk, und doch ein<lb/> ganz anderes. Aller Reiz, alle Friſche des urſpruͤnglichen<lb/> Gedichts iſt verwiſcht. Wenn man ein wenig tiefer ein-<lb/> geht, ſo wird man finden, daß der Autor allenthalben<lb/> ſtatt des Individuellen ein Allgemein-guͤltiges, ſtatt des<lb/> ruͤckſichtsloſen Ausdruckes einer ſchoͤnen und lebendigen Na-<lb/> tur eine Art von geſellſchaftlichem Decorum untergeſchoben<lb/> hat, wie ſie die damalige und die ſpaͤtere italieniſche Welt<lb/> forderte <note place="foot" n="1)">Ich ſuche dieß in der oben bezeichneten akademiſchen Ab-<lb/> handlung naͤher auszufuͤhren.</note>. Er traf es damit vollkommen. Mit einem<lb/> unglaublichen Beifall wurde ſein Werk aufgenommen: die<lb/> Ueberarbeitung hat das urſpruͤngliche Gedicht durchaus ver-<lb/> draͤngt. Und wie raſch hatte ſich dieſe Umwandelung voll-<lb/> zogen. Seit der erſten Ausgabe waren noch nicht funfzig<lb/> Jahr verfloſſen.</p><lb/> <p>Man kann dieſen veraͤnderten Grundton, dieſe Ader<lb/> eines anderen Geiſtes in den meiſten Hervorbringungen<lb/> jener Zeit verfolgen.</p><lb/> <p>Es iſt nicht grade Mangel an Talent, was die gro-<lb/> ßen Gedichte von Alamanni und Bernardo Taſſo, ſo un-<lb/> genießbar, ſo langweilig macht, wenigſtens bei dem letzten<lb/> nicht. Aber gleich ihre Conception iſt kalt. Nach den For-<lb/> derungen eines zwar keineswegs ſehr tugendhaften, aber ernſt-<lb/> gewordenen, gehaltenen Publikums waͤhlten ſie ſich tadel-<lb/> loſe Helden, Bernardo den Amadis: von dem der juͤngere<lb/> Taſſo ſagt: „Dante wuͤrde das verwerfende Urtheil, das<lb/> er uͤber die Ritterromane ausſpricht, zuruͤckgenommen ha-<lb/> ben, wenn er den Amadis von Gallien oder von Graͤcia<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [486/0512]
Buch IV. Staat und Hof.
nommen hat. Es iſt das nemliche Werk, und doch ein
ganz anderes. Aller Reiz, alle Friſche des urſpruͤnglichen
Gedichts iſt verwiſcht. Wenn man ein wenig tiefer ein-
geht, ſo wird man finden, daß der Autor allenthalben
ſtatt des Individuellen ein Allgemein-guͤltiges, ſtatt des
ruͤckſichtsloſen Ausdruckes einer ſchoͤnen und lebendigen Na-
tur eine Art von geſellſchaftlichem Decorum untergeſchoben
hat, wie ſie die damalige und die ſpaͤtere italieniſche Welt
forderte 1). Er traf es damit vollkommen. Mit einem
unglaublichen Beifall wurde ſein Werk aufgenommen: die
Ueberarbeitung hat das urſpruͤngliche Gedicht durchaus ver-
draͤngt. Und wie raſch hatte ſich dieſe Umwandelung voll-
zogen. Seit der erſten Ausgabe waren noch nicht funfzig
Jahr verfloſſen.
Man kann dieſen veraͤnderten Grundton, dieſe Ader
eines anderen Geiſtes in den meiſten Hervorbringungen
jener Zeit verfolgen.
Es iſt nicht grade Mangel an Talent, was die gro-
ßen Gedichte von Alamanni und Bernardo Taſſo, ſo un-
genießbar, ſo langweilig macht, wenigſtens bei dem letzten
nicht. Aber gleich ihre Conception iſt kalt. Nach den For-
derungen eines zwar keineswegs ſehr tugendhaften, aber ernſt-
gewordenen, gehaltenen Publikums waͤhlten ſie ſich tadel-
loſe Helden, Bernardo den Amadis: von dem der juͤngere
Taſſo ſagt: „Dante wuͤrde das verwerfende Urtheil, das
er uͤber die Ritterromane ausſpricht, zuruͤckgenommen ha-
ben, wenn er den Amadis von Gallien oder von Graͤcia
1) Ich ſuche dieß in der oben bezeichneten akademiſchen Ab-
handlung naͤher auszufuͤhren.
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