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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch II. Regeneration des Katholicismus.
sich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, sie
beruht auf dem Gefühle eines unmittelbaren Zusammen-
hanges mit dem Reiche der Geister. Luthern hätte sie nie-
mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine
Gesichter, er hielt sie alle ohne Unterschied für verwerflich:
er wollte nur das einfache, geschriebene, unzweifelhafte Got-
tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantasien und
innern Anschauungen. Am meisten vom Christenthum schien
ihm eine Alte zu verstehen, welche ihm in seinen Qualen
gesagt, Christus müsse ihm noch erscheinen. Es hatte ihm
anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald
Christum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf
der Treppe von S. Domenico zu Manresa blieb er stehen
und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit
in diesem Moment anzuschauen glaubte 1); er redete den
ganzen Tag von nichts andrem: er war unerschöpflich in
Gleichnissen. Plötzlich überleuchtete ihn in mystischen Sym-
bolen das Geheimniß der Schöpfung. In der Hostie
sah er den, welcher Gott und Mensch. Er ging einst an
dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In-
dem er sich niedersetzte und seine Augen auf den tiefen
Strom heftete, den er vor sich hatte, fühlte er sich plötz-
lich von anschauendem Verständniß der Geheimnisse des
Glaubens entzückt: er meinte als ein andrer Mensch auf-
zustehen. Für ihn bedurfte es dann keines Zeugnisses, kei-
ner Schrift weiter. Auch wenn es solche nicht gegeben
hätte, würde er doch unbedenklich für den Glauben, den er
bisher geglaubt, den er sah, in den Tod gegangen seyn 2).


1) En figura de tres teclas.
2) Acta antiquissima: "his visis haud mediocriter tum con-

Buch II. Regeneration des Katholicismus.
ſich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, ſie
beruht auf dem Gefuͤhle eines unmittelbaren Zuſammen-
hanges mit dem Reiche der Geiſter. Luthern haͤtte ſie nie-
mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine
Geſichter, er hielt ſie alle ohne Unterſchied fuͤr verwerflich:
er wollte nur das einfache, geſchriebene, unzweifelhafte Got-
tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantaſien und
innern Anſchauungen. Am meiſten vom Chriſtenthum ſchien
ihm eine Alte zu verſtehen, welche ihm in ſeinen Qualen
geſagt, Chriſtus muͤſſe ihm noch erſcheinen. Es hatte ihm
anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald
Chriſtum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf
der Treppe von S. Domenico zu Manreſa blieb er ſtehen
und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit
in dieſem Moment anzuſchauen glaubte 1); er redete den
ganzen Tag von nichts andrem: er war unerſchoͤpflich in
Gleichniſſen. Ploͤtzlich uͤberleuchtete ihn in myſtiſchen Sym-
bolen das Geheimniß der Schoͤpfung. In der Hoſtie
ſah er den, welcher Gott und Menſch. Er ging einſt an
dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In-
dem er ſich niederſetzte und ſeine Augen auf den tiefen
Strom heftete, den er vor ſich hatte, fuͤhlte er ſich ploͤtz-
lich von anſchauendem Verſtaͤndniß der Geheimniſſe des
Glaubens entzuͤckt: er meinte als ein andrer Menſch auf-
zuſtehen. Fuͤr ihn bedurfte es dann keines Zeugniſſes, kei-
ner Schrift weiter. Auch wenn es ſolche nicht gegeben
haͤtte, wuͤrde er doch unbedenklich fuͤr den Glauben, den er
bisher geglaubt, den er ſah, in den Tod gegangen ſeyn 2).


1) En figura de tres teclas.
2) Acta antiquissima: „his visis haud mediocriter tum con-
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[184/0210] Buch II. Regeneration des Katholicismus. ſich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, ſie beruht auf dem Gefuͤhle eines unmittelbaren Zuſammen- hanges mit dem Reiche der Geiſter. Luthern haͤtte ſie nie- mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine Geſichter, er hielt ſie alle ohne Unterſchied fuͤr verwerflich: er wollte nur das einfache, geſchriebene, unzweifelhafte Got- tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantaſien und innern Anſchauungen. Am meiſten vom Chriſtenthum ſchien ihm eine Alte zu verſtehen, welche ihm in ſeinen Qualen geſagt, Chriſtus muͤſſe ihm noch erſcheinen. Es hatte ihm anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald Chriſtum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf der Treppe von S. Domenico zu Manreſa blieb er ſtehen und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit in dieſem Moment anzuſchauen glaubte 1); er redete den ganzen Tag von nichts andrem: er war unerſchoͤpflich in Gleichniſſen. Ploͤtzlich uͤberleuchtete ihn in myſtiſchen Sym- bolen das Geheimniß der Schoͤpfung. In der Hoſtie ſah er den, welcher Gott und Menſch. Er ging einſt an dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In- dem er ſich niederſetzte und ſeine Augen auf den tiefen Strom heftete, den er vor ſich hatte, fuͤhlte er ſich ploͤtz- lich von anſchauendem Verſtaͤndniß der Geheimniſſe des Glaubens entzuͤckt: er meinte als ein andrer Menſch auf- zuſtehen. Fuͤr ihn bedurfte es dann keines Zeugniſſes, kei- ner Schrift weiter. Auch wenn es ſolche nicht gegeben haͤtte, wuͤrde er doch unbedenklich fuͤr den Glauben, den er bisher geglaubt, den er ſah, in den Tod gegangen ſeyn 2). 1) En figura de tres teclas. 2) Acta antiquissima: „his visis haud mediocriter tum con-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/210>, abgerufen am 06.05.2024.