Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Versuche innerer Reformen. lichste, nachdrücklichste an. Er findet es götzendienerisch, zusagen, was wirklich behauptet wurde, der Papst habe für Festsetzung und Aufhebung des positiven Rechts keine an- dere Norm als seinen Willen. Es ist der Mühe werth, ihn hierüber zu hören. "Christi Gesetz," sagt er, "ist ein Gesetz der Freiheit und verbietet eine so grobe Knecht- schaft, welche die Lutheraner ganz Recht hätten mit der babylonischen Gefangenschaft zu vergleichen. Aber auch überdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re- gel der Wille eines Menschen ist der von Natur zum Bösen neigt und von unzähligen Affecten bewegt wird? Nein! alle Herrschaft ist eine Herrschaft der Vernunft. Sie hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen sind, durch die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Glück zu führen. Auch die Autorität des Papstes ist eine Herrschaft der Ver- nunft: Gott hat sie dem heiligen Peter und dessen Nach- folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi- gen Seligkeit zu leiten. Ein Papst muß wissen, daß es freie Menschen sind, über die er sie ausübt. Nicht nach Be- lieben soll er befehlen oder verbieten oder dispensiren, son- dern nach der Regel der Vernunft, der göttlichen Gebote, und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das gemeine Beste bezieht. Denn nicht die Willkühr giebt die positiven Gesetze. Sie werden gegeben, indem man das natürliche Recht und die göttlichen Gebote mit den Um- ständen zusammenhält; nur nach denselben Gesetzen und der unabweislichen Forderung der Dinge können sie geän- dert werden." -- "Deine Heiligkeit," ruft er Paul III. zu, "trage Sorge, von dieser Regel nicht abzuweichen. 10*
Verſuche innerer Reformen. lichſte, nachdruͤcklichſte an. Er findet es goͤtzendieneriſch, zuſagen, was wirklich behauptet wurde, der Papſt habe fuͤr Feſtſetzung und Aufhebung des poſitiven Rechts keine an- dere Norm als ſeinen Willen. Es iſt der Muͤhe werth, ihn hieruͤber zu hoͤren. „Chriſti Geſetz,“ ſagt er, „iſt ein Geſetz der Freiheit und verbietet eine ſo grobe Knecht- ſchaft, welche die Lutheraner ganz Recht haͤtten mit der babyloniſchen Gefangenſchaft zu vergleichen. Aber auch uͤberdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re- gel der Wille eines Menſchen iſt der von Natur zum Boͤſen neigt und von unzaͤhligen Affecten bewegt wird? Nein! alle Herrſchaft iſt eine Herrſchaft der Vernunft. Sie hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen ſind, durch die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Gluͤck zu fuͤhren. Auch die Autoritaͤt des Papſtes iſt eine Herrſchaft der Ver- nunft: Gott hat ſie dem heiligen Peter und deſſen Nach- folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi- gen Seligkeit zu leiten. Ein Papſt muß wiſſen, daß es freie Menſchen ſind, uͤber die er ſie ausuͤbt. Nicht nach Be- lieben ſoll er befehlen oder verbieten oder dispenſiren, ſon- dern nach der Regel der Vernunft, der goͤttlichen Gebote, und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das gemeine Beſte bezieht. Denn nicht die Willkuͤhr giebt die poſitiven Geſetze. Sie werden gegeben, indem man das natuͤrliche Recht und die goͤttlichen Gebote mit den Um- ſtaͤnden zuſammenhaͤlt; nur nach denſelben Geſetzen und der unabweislichen Forderung der Dinge koͤnnen ſie geaͤn- dert werden.“ — „Deine Heiligkeit,“ ruft er Paul III. zu, „trage Sorge, von dieſer Regel nicht abzuweichen. 10*
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Verſuche innerer Reformen.
lichſte, nachdruͤcklichſte an. Er findet es goͤtzendieneriſch, zu
ſagen, was wirklich behauptet wurde, der Papſt habe fuͤr
Feſtſetzung und Aufhebung des poſitiven Rechts keine an-
dere Norm als ſeinen Willen. Es iſt der Muͤhe werth,
ihn hieruͤber zu hoͤren. „Chriſti Geſetz,“ ſagt er, „iſt ein
Geſetz der Freiheit und verbietet eine ſo grobe Knecht-
ſchaft, welche die Lutheraner ganz Recht haͤtten mit der
babyloniſchen Gefangenſchaft zu vergleichen. Aber auch
uͤberdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re-
gel der Wille eines Menſchen iſt der von Natur zum
Boͤſen neigt und von unzaͤhligen Affecten bewegt wird?
Nein! alle Herrſchaft iſt eine Herrſchaft der Vernunft. Sie
hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen ſind, durch
die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Gluͤck zu fuͤhren.
Auch die Autoritaͤt des Papſtes iſt eine Herrſchaft der Ver-
nunft: Gott hat ſie dem heiligen Peter und deſſen Nach-
folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi-
gen Seligkeit zu leiten. Ein Papſt muß wiſſen, daß es freie
Menſchen ſind, uͤber die er ſie ausuͤbt. Nicht nach Be-
lieben ſoll er befehlen oder verbieten oder dispenſiren, ſon-
dern nach der Regel der Vernunft, der goͤttlichen Gebote,
und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das
gemeine Beſte bezieht. Denn nicht die Willkuͤhr giebt die
poſitiven Geſetze. Sie werden gegeben, indem man das
natuͤrliche Recht und die goͤttlichen Gebote mit den Um-
ſtaͤnden zuſammenhaͤlt; nur nach denſelben Geſetzen und
der unabweislichen Forderung der Dinge koͤnnen ſie geaͤn-
dert werden.“ — „Deine Heiligkeit,“ ruft er Paul III.
zu, „trage Sorge, von dieſer Regel nicht abzuweichen.
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