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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch II. Regeneration des Katholicismus.
gar bald zu den strengeren Bußübungen der Capuziner
übertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten
Capitel dieses Ordens ward er zum General desselben er-
nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver-
waltete. So streng aber auch sein Leben war: -- er ging
immer zu Fuß: er schlief auf seinem Mantel: nie trank
er Wein: auch andren schärfte er vor allem das Gebot
der Armuth ein, als das vornehmste Mittel, die evange-
lische Vollkommenheit zu erwerben, -- so ward er doch
nach und nach von dem Lehrsatz der Rechtfertigung durch
die Gnade überzeugt und durchdrungen. Auf das eindring-
lichste trug er sie in dem Beichtstuhl und auf der Kanzel
vor. "Ich eröffnete ihm mein Herz", sagt Bembo, "wie
ich es vor Christo selber thun würde; mir kam es vor,
als hätte ich nie einen heiligeren Mann gesehen." Zu sei-
nen Predigten strömten die Städte zusammen: die Kirchen
waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge-
schlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine
rauhe Kleidung, sein bis auf die Brust herabhängender
Bart, seine grauen Haare, sein bleiches mageres Gesicht
und die Schwäche, die von seinem hartnäckigen Fasten her-
kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen 1).

Und so gab es noch eine Linie innerhalb des Katho-
licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen
nicht überschritten wurde. Mit Priesterthum und Mönchs-
wesen setzte man sich in Italien nicht geradezu in Streit;
das Primat des Papstes anzugreifen, war man weit ent-

1) Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra-
tiani Vie de Commendone p.
143.

Buch II. Regeneration des Katholicismus.
gar bald zu den ſtrengeren Bußuͤbungen der Capuziner
uͤbertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten
Capitel dieſes Ordens ward er zum General deſſelben er-
nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver-
waltete. So ſtreng aber auch ſein Leben war: — er ging
immer zu Fuß: er ſchlief auf ſeinem Mantel: nie trank
er Wein: auch andren ſchaͤrfte er vor allem das Gebot
der Armuth ein, als das vornehmſte Mittel, die evange-
liſche Vollkommenheit zu erwerben, — ſo ward er doch
nach und nach von dem Lehrſatz der Rechtfertigung durch
die Gnade uͤberzeugt und durchdrungen. Auf das eindring-
lichſte trug er ſie in dem Beichtſtuhl und auf der Kanzel
vor. „Ich eroͤffnete ihm mein Herz“, ſagt Bembo, „wie
ich es vor Chriſto ſelber thun wuͤrde; mir kam es vor,
als haͤtte ich nie einen heiligeren Mann geſehen.“ Zu ſei-
nen Predigten ſtroͤmten die Staͤdte zuſammen: die Kirchen
waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge-
ſchlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine
rauhe Kleidung, ſein bis auf die Bruſt herabhaͤngender
Bart, ſeine grauen Haare, ſein bleiches mageres Geſicht
und die Schwaͤche, die von ſeinem hartnaͤckigen Faſten her-
kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen 1).

Und ſo gab es noch eine Linie innerhalb des Katho-
licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen
nicht uͤberſchritten wurde. Mit Prieſterthum und Moͤnchs-
weſen ſetzte man ſich in Italien nicht geradezu in Streit;
das Primat des Papſtes anzugreifen, war man weit ent-

1) Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra-
tiani Vie de Commendone p.
143.
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[142/0168] Buch II. Regeneration des Katholicismus. gar bald zu den ſtrengeren Bußuͤbungen der Capuziner uͤbertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten Capitel dieſes Ordens ward er zum General deſſelben er- nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver- waltete. So ſtreng aber auch ſein Leben war: — er ging immer zu Fuß: er ſchlief auf ſeinem Mantel: nie trank er Wein: auch andren ſchaͤrfte er vor allem das Gebot der Armuth ein, als das vornehmſte Mittel, die evange- liſche Vollkommenheit zu erwerben, — ſo ward er doch nach und nach von dem Lehrſatz der Rechtfertigung durch die Gnade uͤberzeugt und durchdrungen. Auf das eindring- lichſte trug er ſie in dem Beichtſtuhl und auf der Kanzel vor. „Ich eroͤffnete ihm mein Herz“, ſagt Bembo, „wie ich es vor Chriſto ſelber thun wuͤrde; mir kam es vor, als haͤtte ich nie einen heiligeren Mann geſehen.“ Zu ſei- nen Predigten ſtroͤmten die Staͤdte zuſammen: die Kirchen waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge- ſchlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine rauhe Kleidung, ſein bis auf die Bruſt herabhaͤngender Bart, ſeine grauen Haare, ſein bleiches mageres Geſicht und die Schwaͤche, die von ſeinem hartnaͤckigen Faſten her- kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen 1). Und ſo gab es noch eine Linie innerhalb des Katho- licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen nicht uͤberſchritten wurde. Mit Prieſterthum und Moͤnchs- weſen ſetzte man ſich in Italien nicht geradezu in Streit; das Primat des Papſtes anzugreifen, war man weit ent- 1) Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra- tiani Vie de Commendone p. 143.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/168>, abgerufen am 02.05.2024.