kann man nicht sagen: allzutief war das Gefühl der Ein- heit der Kirche, die Verehrung für den Papst ihren Ge- müthern eingeprägt; und gar manche katholische Gebräuche hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweise zusam- men, als daß man sich so leicht von ihnen entfernt hätte.
Flaminio verfaßte eine Psalmenerklärung, deren dog- matischer Inhalt von protestantischen Schriftstellern gebil- ligt worden ist: aber eben dieselbe versah er mit einer Zu- eignung, in welcher er den Papst "den Wächter und Für- sten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden" nannte.
Giovan Battista Folengo schreibt die Rechtfertigung allein der Gnade zu: er redet sogar von dem Nutzen der Sünde, was nicht weit von der Schädlichkeit der guten Werke entfernt ist; lebhaft eifert er wider das Vertrauen auf Fasten, häufiges Gebet, Messe und Beichte, ja auf den Priesterstand selber, Tonsur und Mitra 1); dennoch ist er in dem nemlichen Benedictinerkloster, in welchem er in seinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefähr in dem sechzigsten ruhig gestorben 2).
Nicht viel anders stand es lange Zeit mit Bernardino Ochino. Glauben wir seinen eigenen Worten, so war es von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er sich ausdrückt, "nach dem himmlischen Paradiese, das durch die göttliche Gnade erworben wird," was ihn dahin brachte, Francis- caner zu werden. Sein Eifer war so gründlich, daß er
1)Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die- sen Erklärungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257--261.
2)Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473.
Analogien des Proteſtantismus in Italien.
kann man nicht ſagen: allzutief war das Gefuͤhl der Ein- heit der Kirche, die Verehrung fuͤr den Papſt ihren Ge- muͤthern eingepraͤgt; und gar manche katholiſche Gebraͤuche hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweiſe zuſam- men, als daß man ſich ſo leicht von ihnen entfernt haͤtte.
Flaminio verfaßte eine Pſalmenerklaͤrung, deren dog- matiſcher Inhalt von proteſtantiſchen Schriftſtellern gebil- ligt worden iſt: aber eben dieſelbe verſah er mit einer Zu- eignung, in welcher er den Papſt „den Waͤchter und Fuͤr- ſten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden“ nannte.
Giovan Battiſta Folengo ſchreibt die Rechtfertigung allein der Gnade zu: er redet ſogar von dem Nutzen der Suͤnde, was nicht weit von der Schaͤdlichkeit der guten Werke entfernt iſt; lebhaft eifert er wider das Vertrauen auf Faſten, haͤufiges Gebet, Meſſe und Beichte, ja auf den Prieſterſtand ſelber, Tonſur und Mitra 1); dennoch iſt er in dem nemlichen Benedictinerkloſter, in welchem er in ſeinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefaͤhr in dem ſechzigſten ruhig geſtorben 2).
Nicht viel anders ſtand es lange Zeit mit Bernardino Ochino. Glauben wir ſeinen eigenen Worten, ſo war es von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er ſich ausdruͤckt, „nach dem himmliſchen Paradieſe, das durch die goͤttliche Gnade erworben wird,“ was ihn dahin brachte, Francis- caner zu werden. Sein Eifer war ſo gruͤndlich, daß er
1)Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die- ſen Erklaͤrungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257—261.
2)Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473.
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Analogien des Proteſtantismus in Italien.
kann man nicht ſagen: allzutief war das Gefuͤhl der Ein-
heit der Kirche, die Verehrung fuͤr den Papſt ihren Ge-
muͤthern eingepraͤgt; und gar manche katholiſche Gebraͤuche
hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweiſe zuſam-
men, als daß man ſich ſo leicht von ihnen entfernt haͤtte.
Flaminio verfaßte eine Pſalmenerklaͤrung, deren dog-
matiſcher Inhalt von proteſtantiſchen Schriftſtellern gebil-
ligt worden iſt: aber eben dieſelbe verſah er mit einer Zu-
eignung, in welcher er den Papſt „den Waͤchter und Fuͤr-
ſten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden“
nannte.
Giovan Battiſta Folengo ſchreibt die Rechtfertigung
allein der Gnade zu: er redet ſogar von dem Nutzen der
Suͤnde, was nicht weit von der Schaͤdlichkeit der guten
Werke entfernt iſt; lebhaft eifert er wider das Vertrauen
auf Faſten, haͤufiges Gebet, Meſſe und Beichte, ja auf
den Prieſterſtand ſelber, Tonſur und Mitra 1); dennoch iſt
er in dem nemlichen Benedictinerkloſter, in welchem er in
ſeinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefaͤhr in dem
ſechzigſten ruhig geſtorben 2).
Nicht viel anders ſtand es lange Zeit mit Bernardino
Ochino. Glauben wir ſeinen eigenen Worten, ſo war es
von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er ſich ausdruͤckt,
„nach dem himmliſchen Paradieſe, das durch die goͤttliche
Gnade erworben wird,“ was ihn dahin brachte, Francis-
caner zu werden. Sein Eifer war ſo gruͤndlich, daß er
1) Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die-
ſen Erklaͤrungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257—261.
2) Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/167>, abgerufen am 02.05.2024.
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