Franzosen geschlagen war, wirkte ihm bis in seine Haupt- stadt, bis in seinen Pallast nach.
Indeß aber hatte sich die zweite große Macht conso- lidirt. Wie sonderbar es schien, daß Ein und derselbe Fürst in Wien, Brüssel, Valladolid, Saragossa und Nea- pel, und überdieß noch in einem andern Continent herr- schen sollte, so war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte Verflechtung von Familieninteressen dahin gekommen. Diese Erhebung des Hauses Oestreich, die so verschiedene Natio- nen verknüpfte, war eine der größten und folgenreichsten Veränderungen, welche Europa überhaupt betroffen haben. In dem Moment, daß die Nationen sich von ihrem bis- herigen Mittelpunkt absonderten, wurden sie durch ihre po- litischen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues System verflochten. Die Macht von Oestreich setzte sich dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen. Durch die kaiserliche Würde bekam Carl V. gesetzliche An- sprüche auf ein oberherrliches Ansehn wenigstens in der Lombardei. Ueber diese italienischen Angelegenheiten eröff- nete sich ohne viel Zögern der Krieg.
Wie gesagt, die Päpste hatten durch die Erweiterung ihres Staates zu voller Unabhängigkeit zu gelangen gehofft. Jetzt sahen sie sich von zwei bei weitem überlegenen Ge- walten in die Mitte genommen. Ein Papst war nicht so unbedeutend, bei dem Kampfe derselben neutral bleiben zu dürfen; auch war er nicht mächtig genug, ein entscheiden- des Gewicht in die Wagschaale zu werfen; er mußte sein Heil in geschickter Benutzung der Lage der Dinge suchen. Leo soll geäußert haben, wenn man mit der einen Partei
Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Franzoſen geſchlagen war, wirkte ihm bis in ſeine Haupt- ſtadt, bis in ſeinen Pallaſt nach.
Indeß aber hatte ſich die zweite große Macht conſo- lidirt. Wie ſonderbar es ſchien, daß Ein und derſelbe Fuͤrſt in Wien, Bruͤſſel, Valladolid, Saragoſſa und Nea- pel, und uͤberdieß noch in einem andern Continent herr- ſchen ſollte, ſo war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte Verflechtung von Familienintereſſen dahin gekommen. Dieſe Erhebung des Hauſes Oeſtreich, die ſo verſchiedene Natio- nen verknuͤpfte, war eine der groͤßten und folgenreichſten Veraͤnderungen, welche Europa uͤberhaupt betroffen haben. In dem Moment, daß die Nationen ſich von ihrem bis- herigen Mittelpunkt abſonderten, wurden ſie durch ihre po- litiſchen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues Syſtem verflochten. Die Macht von Oeſtreich ſetzte ſich dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen. Durch die kaiſerliche Wuͤrde bekam Carl V. geſetzliche An- ſpruͤche auf ein oberherrliches Anſehn wenigſtens in der Lombardei. Ueber dieſe italieniſchen Angelegenheiten eroͤff- nete ſich ohne viel Zoͤgern der Krieg.
Wie geſagt, die Paͤpſte hatten durch die Erweiterung ihres Staates zu voller Unabhaͤngigkeit zu gelangen gehofft. Jetzt ſahen ſie ſich von zwei bei weitem uͤberlegenen Ge- walten in die Mitte genommen. Ein Papſt war nicht ſo unbedeutend, bei dem Kampfe derſelben neutral bleiben zu duͤrfen; auch war er nicht maͤchtig genug, ein entſcheiden- des Gewicht in die Wagſchaale zu werfen; er mußte ſein Heil in geſchickter Benutzung der Lage der Dinge ſuchen. Leo ſoll geaͤußert haben, wenn man mit der einen Partei
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Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Franzoſen geſchlagen war, wirkte ihm bis in ſeine Haupt-
ſtadt, bis in ſeinen Pallaſt nach.
Indeß aber hatte ſich die zweite große Macht conſo-
lidirt. Wie ſonderbar es ſchien, daß Ein und derſelbe
Fuͤrſt in Wien, Bruͤſſel, Valladolid, Saragoſſa und Nea-
pel, und uͤberdieß noch in einem andern Continent herr-
ſchen ſollte, ſo war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte
Verflechtung von Familienintereſſen dahin gekommen. Dieſe
Erhebung des Hauſes Oeſtreich, die ſo verſchiedene Natio-
nen verknuͤpfte, war eine der groͤßten und folgenreichſten
Veraͤnderungen, welche Europa uͤberhaupt betroffen haben.
In dem Moment, daß die Nationen ſich von ihrem bis-
herigen Mittelpunkt abſonderten, wurden ſie durch ihre po-
litiſchen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues
Syſtem verflochten. Die Macht von Oeſtreich ſetzte ſich
dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen.
Durch die kaiſerliche Wuͤrde bekam Carl V. geſetzliche An-
ſpruͤche auf ein oberherrliches Anſehn wenigſtens in der
Lombardei. Ueber dieſe italieniſchen Angelegenheiten eroͤff-
nete ſich ohne viel Zoͤgern der Krieg.
Wie geſagt, die Paͤpſte hatten durch die Erweiterung
ihres Staates zu voller Unabhaͤngigkeit zu gelangen gehofft.
Jetzt ſahen ſie ſich von zwei bei weitem uͤberlegenen Ge-
walten in die Mitte genommen. Ein Papſt war nicht ſo
unbedeutend, bei dem Kampfe derſelben neutral bleiben zu
duͤrfen; auch war er nicht maͤchtig genug, ein entſcheiden-
des Gewicht in die Wagſchaale zu werfen; er mußte ſein
Heil in geſchickter Benutzung der Lage der Dinge ſuchen.
Leo ſoll geaͤußert haben, wenn man mit der einen Partei
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/110>, abgerufen am 05.12.2024.
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