Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.allgemein wirkenden, in der Natur der Sache selbst liegenden Gründen nicht erklären läßt. Vor dem Anfange des zwölften Jahrhunderts läßt sich schwerlich unter den Abendländern in Europa irgend ein charakteristischer Zug in dem Betragen der beyden Geschlechter gegen einander auffinden, der dieß von dem Betragen aller übrigen Völker unterschiede, die in der Kultur der Geschlechtssympathie die erste Stufe überschritten haben. Wenn er aber vorhanden gewesen ist, wovon ich das Gegentheil nicht zu behaupten wage, so entgeht er, bey dem Mangel aller Nachricht, gänzlich unsrer Kenntniß. In dem zehnten und eilften Jahrhunderte war die Verdorbenheit der Sitten aufs Höchste gestiegen. Besonders übte man die äußersten Gewaltthätigkeiten gegen das zärtere Geschlecht aus. Dieß war damahls überhaupt sehr verachtet. 3) Man legte den Weibern etwas Unheiliges und Verunreinigendes bey, verbot ihnen, das Altartuch zu berühren, und machte es ihnen zur Pflicht, beym Empfang des Abendmahls Handschuhe anzuziehen. Es war den Ehemännern durch Gesetze erlaubt, ihre Weiber zu stäupen, und sie sogar zu verwunden, wenn sie nur nicht an ihren Gliedmaßen durch Verstümmelung oder gänzliche Lähmung litten. Der Vater durfte seine Tochter selbst nach der Verheirathung thätlich züchtigen, und die Statuten der Stadt Bourdeaux setzten fest, daß wenn der Ehemann im Zorn oder in der Heftigkeit des Schmerzes seine Gattin umbrächte, aber nachher schwören würde, daß es ihn von Herzen 3) Auf dem Concilio zu Macon, (im sechsten Jahrhunderte) stritt man noch weitläuftig darüber: ob die Weiber Menschen wären.
allgemein wirkenden, in der Natur der Sache selbst liegenden Gründen nicht erklären läßt. Vor dem Anfange des zwölften Jahrhunderts läßt sich schwerlich unter den Abendländern in Europa irgend ein charakteristischer Zug in dem Betragen der beyden Geschlechter gegen einander auffinden, der dieß von dem Betragen aller übrigen Völker unterschiede, die in der Kultur der Geschlechtssympathie die erste Stufe überschritten haben. Wenn er aber vorhanden gewesen ist, wovon ich das Gegentheil nicht zu behaupten wage, so entgeht er, bey dem Mangel aller Nachricht, gänzlich unsrer Kenntniß. In dem zehnten und eilften Jahrhunderte war die Verdorbenheit der Sitten aufs Höchste gestiegen. Besonders übte man die äußersten Gewaltthätigkeiten gegen das zärtere Geschlecht aus. Dieß war damahls überhaupt sehr verachtet. 3) Man legte den Weibern etwas Unheiliges und Verunreinigendes bey, verbot ihnen, das Altartuch zu berühren, und machte es ihnen zur Pflicht, beym Empfang des Abendmahls Handschuhe anzuziehen. Es war den Ehemännern durch Gesetze erlaubt, ihre Weiber zu stäupen, und sie sogar zu verwunden, wenn sie nur nicht an ihren Gliedmaßen durch Verstümmelung oder gänzliche Lähmung litten. Der Vater durfte seine Tochter selbst nach der Verheirathung thätlich züchtigen, und die Statuten der Stadt Bourdeaux setzten fest, daß wenn der Ehemann im Zorn oder in der Heftigkeit des Schmerzes seine Gattin umbrächte, aber nachher schwören würde, daß es ihn von Herzen 3) Auf dem Concilio zu Mâcon, (im sechsten Jahrhunderte) stritt man noch weitläuftig darüber: ob die Weiber Menschen wären.
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allgemein wirkenden, in der Natur der Sache selbst liegenden Gründen nicht erklären läßt.
Vor dem Anfange des zwölften Jahrhunderts läßt sich schwerlich unter den Abendländern in Europa irgend ein charakteristischer Zug in dem Betragen der beyden Geschlechter gegen einander auffinden, der dieß von dem Betragen aller übrigen Völker unterschiede, die in der Kultur der Geschlechtssympathie die erste Stufe überschritten haben. Wenn er aber vorhanden gewesen ist, wovon ich das Gegentheil nicht zu behaupten wage, so entgeht er, bey dem Mangel aller Nachricht, gänzlich unsrer Kenntniß.
In dem zehnten und eilften Jahrhunderte war die Verdorbenheit der Sitten aufs Höchste gestiegen. Besonders übte man die äußersten Gewaltthätigkeiten gegen das zärtere Geschlecht aus. Dieß war damahls überhaupt sehr verachtet. 3) Man legte den Weibern etwas Unheiliges und Verunreinigendes bey, verbot ihnen, das Altartuch zu berühren, und machte es ihnen zur Pflicht, beym Empfang des Abendmahls Handschuhe anzuziehen. Es war den Ehemännern durch Gesetze erlaubt, ihre Weiber zu stäupen, und sie sogar zu verwunden, wenn sie nur nicht an ihren Gliedmaßen durch Verstümmelung oder gänzliche Lähmung litten. Der Vater durfte seine Tochter selbst nach der Verheirathung thätlich züchtigen, und die Statuten der Stadt Bourdeaux setzten fest, daß wenn der Ehemann im Zorn oder in der Heftigkeit des Schmerzes seine Gattin umbrächte, aber nachher schwören würde, daß es ihn von Herzen
3) Auf dem Concilio zu Mâcon, (im sechsten Jahrhunderte) stritt man noch weitläuftig darüber: ob die Weiber Menschen wären.
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/51>, abgerufen am 22.07.2024. |