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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Mädchen! Wohin verlegen sie ihre Situationen? Aufs Land, zwischen die meist rohe Natur! Es ist nicht mehr der Streit zwischen Liebe und Tugend, der ihre Pinsel beschäftigt; es ist das Mißverständniß zwischen Begierde und Unerfahrenheit, zwischen niederer Sinnlichkeit und instinktartiger Scham! Und wie erlogen, wie geziert ist demungeachtet oft der Ausdruck der Naivetät, aus dem sie die größten Reitze für die Liebe zu ziehen suchen!

Ganz im Geiste der Zeit nahm man zwey Liebesgötter an, die beyde von der himmlischen Venus verläugnet worden wären. Der eine war der Sohn der Venus Pandemos, und ganz so schmutzig und niedrig, als Sokrates ihn beym Plato schildert: er sprach allem Anstande und selbst den Vorschriften des wahren Vergnügens Hohn. Der andere hatte dem wahren und edleren einen fremden Schimmer abgestohlen, der aber mit seiner Gestalt nicht mehr Aehnlichkeit hatte, als die Porcellainfigur aus der Fabrik von Seve mit den Meisterstücken von Marmor, die uns das Belvedere aufbewahrt.

Dieß brachte die größte Verwirrung in die Begriffe. Bernards Kunst zu lieben ist davon der sicherste Beweis. Diese Parodie des ovidianischen Gedichts gleiches Nahmens schwankt beständig zwischen Unanständigkeit und Rücksicht auf den Anstand, zwischen Witz und wahrer Empfindung, zwischen der eigennützigsten Begierde und liebender Aufopferung. Der herrschende Begriff bricht aber allerwärts durch; Liebe ist Begierde nach Vergnügen der Sinne, unterstützt von den Annehmlichkeiten, welche eine feinere

Mädchen! Wohin verlegen sie ihre Situationen? Aufs Land, zwischen die meist rohe Natur! Es ist nicht mehr der Streit zwischen Liebe und Tugend, der ihre Pinsel beschäftigt; es ist das Mißverständniß zwischen Begierde und Unerfahrenheit, zwischen niederer Sinnlichkeit und instinktartiger Scham! Und wie erlogen, wie geziert ist demungeachtet oft der Ausdruck der Naivetät, aus dem sie die größten Reitze für die Liebe zu ziehen suchen!

Ganz im Geiste der Zeit nahm man zwey Liebesgötter an, die beyde von der himmlischen Venus verläugnet worden wären. Der eine war der Sohn der Venus Pandemos, und ganz so schmutzig und niedrig, als Sokrates ihn beym Plato schildert: er sprach allem Anstande und selbst den Vorschriften des wahren Vergnügens Hohn. Der andere hatte dem wahren und edleren einen fremden Schimmer abgestohlen, der aber mit seiner Gestalt nicht mehr Aehnlichkeit hatte, als die Porcellainfigur aus der Fabrik von Seve mit den Meisterstücken von Marmor, die uns das Belvedere aufbewahrt.

Dieß brachte die größte Verwirrung in die Begriffe. Bernards Kunst zu lieben ist davon der sicherste Beweis. Diese Parodie des ovidianischen Gedichts gleiches Nahmens schwankt beständig zwischen Unanständigkeit und Rücksicht auf den Anstand, zwischen Witz und wahrer Empfindung, zwischen der eigennützigsten Begierde und liebender Aufopferung. Der herrschende Begriff bricht aber allerwärts durch; Liebe ist Begierde nach Vergnügen der Sinne, unterstützt von den Annehmlichkeiten, welche eine feinere

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[283/0283] Mädchen! Wohin verlegen sie ihre Situationen? Aufs Land, zwischen die meist rohe Natur! Es ist nicht mehr der Streit zwischen Liebe und Tugend, der ihre Pinsel beschäftigt; es ist das Mißverständniß zwischen Begierde und Unerfahrenheit, zwischen niederer Sinnlichkeit und instinktartiger Scham! Und wie erlogen, wie geziert ist demungeachtet oft der Ausdruck der Naivetät, aus dem sie die größten Reitze für die Liebe zu ziehen suchen! Ganz im Geiste der Zeit nahm man zwey Liebesgötter an, die beyde von der himmlischen Venus verläugnet worden wären. Der eine war der Sohn der Venus Pandemos, und ganz so schmutzig und niedrig, als Sokrates ihn beym Plato schildert: er sprach allem Anstande und selbst den Vorschriften des wahren Vergnügens Hohn. Der andere hatte dem wahren und edleren einen fremden Schimmer abgestohlen, der aber mit seiner Gestalt nicht mehr Aehnlichkeit hatte, als die Porcellainfigur aus der Fabrik von Seve mit den Meisterstücken von Marmor, die uns das Belvedere aufbewahrt. Dieß brachte die größte Verwirrung in die Begriffe. Bernards Kunst zu lieben ist davon der sicherste Beweis. Diese Parodie des ovidianischen Gedichts gleiches Nahmens schwankt beständig zwischen Unanständigkeit und Rücksicht auf den Anstand, zwischen Witz und wahrer Empfindung, zwischen der eigennützigsten Begierde und liebender Aufopferung. Der herrschende Begriff bricht aber allerwärts durch; Liebe ist Begierde nach Vergnügen der Sinne, unterstützt von den Annehmlichkeiten, welche eine feinere

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/283>, abgerufen am 22.11.2024.