Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden.

Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. "Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen." Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend.

Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen

Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden.

Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. „Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen.“ Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend.

Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="27"/>
Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden.</p>
          <p>Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. &#x201E;Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen.&#x201C; Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend.</p>
          <p>Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0027] Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden. Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. „Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen.“ Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend. Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/27
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/27>, abgerufen am 25.11.2024.