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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Gestalt des Jünglings abwenden. Dieser bittet ihn, ihm seine Fehler zu entdecken. Der Lehrer antwortet: dem Feinde scheint die Tugend selbst ein Fehler: der Freund sieht, wenn sein Geliebter bey siebzig Fehlern nur eine Tugend hat, nur diese Tugend. - Sadi erhält einen nächtlichen Besuch von seiner Geliebten. Er stürzt ihr entgegen, und von dieser schnellen Bewegung erlischt seine Handfackel. Sie fragt ihn, warum er sie bey ihrem Anblick ausgethan habe? "Weil ich glaubte, daß die Sonne aufgegangen sey! antwortet Sadi sehr galant.

Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. "Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag' ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden." -

Ich habe, sagt Sadi, einen Religiosen gesehen, der eine anständige Liebe hegte, und dem es genügte, mit seiner Geliebten zu sprechen. Er stand unglaubliche Qualen aus, und zeigte eine außerordentliche Geduld. Ich ermahnte ihn. Ich weiß, sagte ich, daß die Befriedigung der Lüsternheit nicht der Zweck deiner Leidenschaft ist, und daß keine schändliche

Gestalt des Jünglings abwenden. Dieser bittet ihn, ihm seine Fehler zu entdecken. Der Lehrer antwortet: dem Feinde scheint die Tugend selbst ein Fehler: der Freund sieht, wenn sein Geliebter bey siebzig Fehlern nur eine Tugend hat, nur diese Tugend. – Sadi erhält einen nächtlichen Besuch von seiner Geliebten. Er stürzt ihr entgegen, und von dieser schnellen Bewegung erlischt seine Handfackel. Sie fragt ihn, warum er sie bey ihrem Anblick ausgethan habe? „Weil ich glaubte, daß die Sonne aufgegangen sey! antwortet Sadi sehr galant.

Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. „Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag’ ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden.“ –

Ich habe, sagt Sadi, einen Religiosen gesehen, der eine anständige Liebe hegte, und dem es genügte, mit seiner Geliebten zu sprechen. Er stand unglaubliche Qualen aus, und zeigte eine außerordentliche Geduld. Ich ermahnte ihn. Ich weiß, sagte ich, daß die Befriedigung der Lüsternheit nicht der Zweck deiner Leidenschaft ist, und daß keine schändliche

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          <p>Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. &#x201E;Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag&#x2019; ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden.&#x201C; &#x2013;</p>
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[26/0026] Gestalt des Jünglings abwenden. Dieser bittet ihn, ihm seine Fehler zu entdecken. Der Lehrer antwortet: dem Feinde scheint die Tugend selbst ein Fehler: der Freund sieht, wenn sein Geliebter bey siebzig Fehlern nur eine Tugend hat, nur diese Tugend. – Sadi erhält einen nächtlichen Besuch von seiner Geliebten. Er stürzt ihr entgegen, und von dieser schnellen Bewegung erlischt seine Handfackel. Sie fragt ihn, warum er sie bey ihrem Anblick ausgethan habe? „Weil ich glaubte, daß die Sonne aufgegangen sey! antwortet Sadi sehr galant. Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. „Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag’ ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden.“ – Ich habe, sagt Sadi, einen Religiosen gesehen, der eine anständige Liebe hegte, und dem es genügte, mit seiner Geliebten zu sprechen. Er stand unglaubliche Qualen aus, und zeigte eine außerordentliche Geduld. Ich ermahnte ihn. Ich weiß, sagte ich, daß die Befriedigung der Lüsternheit nicht der Zweck deiner Leidenschaft ist, und daß keine schändliche

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/26>, abgerufen am 29.03.2024.