Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Augen, weil sie allemahl mystisch religiöse Gründe und Zwecke bey dem liebenden Zuge der Menschen zu einander voraussetzten.

Ich kann mich jedoch nach dem mir einmahl vorgesetzten Zwecke um so weniger der Pflicht entledigen, meinen Lesern Einiges von den Ideen der Schriftsteller aus der damahligen Zeit vorzulegen, als ihre Lehren gewiß auf die Ausbildung der Galanterie den größten Einfluß gehabt haben.

Der wichtigste ist Marsilio Ficino oder Ficinus. Man darf sagen, daß dieser Kommentator des Plato beynahe allen seinen Nachfolgern den Stoff zu ihren Ideen geliefert habe. In seinem Kommentare über das Gastmahl des Plato 11) erklärt er die Liebe für das Verlangen nach Schönheit. "Die Vereinigung des Mannigfaltigen nennt er Schönheit, und setzt drey Arten derselben fest, die geistige, welche aus der Vereinigung mehrerer Tugenden entsteht, die körperliche, die ihren Grund in der Vereinigung der Farben und Linien hat, und endlich die Schönheit der Töne, die in der Vereinigung der Konsonanzen und Accorde besteht. Diese drey Arten der Schönheit werden durch den innern Sinn, und durch die äußern des Auges und des Ohres erkannt und genossen. Wenn wir mit den übrigen Sinnen begehren, so ist dieß nicht Liebe, sondern eine übelgeordnete Neigung oder Wuth. Die Liebe flieht die Wollust des Geschmacks und der Berührung. Jeder wahrhaft Liebende ist gerecht

11) Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir gehabt, die von Symon Silvius, dit J. de la Haye, valet de Chambre de Marguerite de France Royne de Navarre verfertigt und zu Poitiers 1546 heraus gekommen ist.

Augen, weil sie allemahl mystisch religiöse Gründe und Zwecke bey dem liebenden Zuge der Menschen zu einander voraussetzten.

Ich kann mich jedoch nach dem mir einmahl vorgesetzten Zwecke um so weniger der Pflicht entledigen, meinen Lesern Einiges von den Ideen der Schriftsteller aus der damahligen Zeit vorzulegen, als ihre Lehren gewiß auf die Ausbildung der Galanterie den größten Einfluß gehabt haben.

Der wichtigste ist Marsilio Ficino oder Ficinus. Man darf sagen, daß dieser Kommentator des Plato beynahe allen seinen Nachfolgern den Stoff zu ihren Ideen geliefert habe. In seinem Kommentare über das Gastmahl des Plato 11) erklärt er die Liebe für das Verlangen nach Schönheit. „Die Vereinigung des Mannigfaltigen nennt er Schönheit, und setzt drey Arten derselben fest, die geistige, welche aus der Vereinigung mehrerer Tugenden entsteht, die körperliche, die ihren Grund in der Vereinigung der Farben und Linien hat, und endlich die Schönheit der Töne, die in der Vereinigung der Konsonanzen und Accorde besteht. Diese drey Arten der Schönheit werden durch den innern Sinn, und durch die äußern des Auges und des Ohres erkannt und genossen. Wenn wir mit den übrigen Sinnen begehren, so ist dieß nicht Liebe, sondern eine übelgeordnete Neigung oder Wuth. Die Liebe flieht die Wollust des Geschmacks und der Berührung. Jeder wahrhaft Liebende ist gerecht

11) Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir gehabt, die von Symon Silvius, dit J. de la Haye, valet de Chambre de Marguerite de France Royne de Navarre verfertigt und zu Poitiers 1546 heraus gekommen ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="171"/>
Augen, weil sie allemahl mystisch religiöse Gründe und Zwecke bey dem liebenden Zuge der Menschen zu einander voraussetzten.</p>
          <p>Ich kann mich jedoch nach dem mir einmahl vorgesetzten Zwecke um so weniger der Pflicht entledigen, meinen Lesern Einiges von den Ideen der Schriftsteller aus der damahligen Zeit vorzulegen, als ihre Lehren gewiß auf die Ausbildung der Galanterie den größten Einfluß gehabt haben.</p>
          <p>Der wichtigste ist <hi rendition="#aq">Marsilio Ficino</hi> oder <hi rendition="#aq">Ficinus.</hi> Man darf sagen, daß dieser Kommentator des Plato beynahe <choice><sic>alle</sic><corr>allen</corr></choice> seinen Nachfolgern den Stoff zu ihren Ideen geliefert habe. In seinem Kommentare über das Gastmahl des Plato <note place="foot" n="11)">Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir gehabt, die von <hi rendition="#aq">Symon Silvius, dit J. de la Haye, valet de Chambre de Marguerite de France Royne de Navarre</hi> verfertigt und zu <hi rendition="#aq">Poitiers 1546</hi> heraus gekommen ist.</note> erklärt er die Liebe für das Verlangen nach Schönheit. &#x201E;Die Vereinigung des Mannigfaltigen nennt er Schönheit, und setzt drey Arten derselben fest, die geistige, welche aus der Vereinigung mehrerer Tugenden entsteht, die körperliche, die ihren Grund in der Vereinigung der Farben und Linien hat, und endlich die Schönheit der Töne, die in der Vereinigung der Konsonanzen und Accorde besteht. Diese drey Arten der Schönheit werden durch den innern Sinn, und durch die äußern des Auges und des Ohres erkannt und genossen. Wenn wir mit den übrigen Sinnen begehren, so ist dieß nicht Liebe, sondern eine übelgeordnete Neigung oder Wuth. Die Liebe flieht die Wollust des Geschmacks und der Berührung. Jeder wahrhaft Liebende ist gerecht
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0171] Augen, weil sie allemahl mystisch religiöse Gründe und Zwecke bey dem liebenden Zuge der Menschen zu einander voraussetzten. Ich kann mich jedoch nach dem mir einmahl vorgesetzten Zwecke um so weniger der Pflicht entledigen, meinen Lesern Einiges von den Ideen der Schriftsteller aus der damahligen Zeit vorzulegen, als ihre Lehren gewiß auf die Ausbildung der Galanterie den größten Einfluß gehabt haben. Der wichtigste ist Marsilio Ficino oder Ficinus. Man darf sagen, daß dieser Kommentator des Plato beynahe allen seinen Nachfolgern den Stoff zu ihren Ideen geliefert habe. In seinem Kommentare über das Gastmahl des Plato 11) erklärt er die Liebe für das Verlangen nach Schönheit. „Die Vereinigung des Mannigfaltigen nennt er Schönheit, und setzt drey Arten derselben fest, die geistige, welche aus der Vereinigung mehrerer Tugenden entsteht, die körperliche, die ihren Grund in der Vereinigung der Farben und Linien hat, und endlich die Schönheit der Töne, die in der Vereinigung der Konsonanzen und Accorde besteht. Diese drey Arten der Schönheit werden durch den innern Sinn, und durch die äußern des Auges und des Ohres erkannt und genossen. Wenn wir mit den übrigen Sinnen begehren, so ist dieß nicht Liebe, sondern eine übelgeordnete Neigung oder Wuth. Die Liebe flieht die Wollust des Geschmacks und der Berührung. Jeder wahrhaft Liebende ist gerecht 11) Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir gehabt, die von Symon Silvius, dit J. de la Haye, valet de Chambre de Marguerite de France Royne de Navarre verfertigt und zu Poitiers 1546 heraus gekommen ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/171
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/171>, abgerufen am 28.04.2024.