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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Festen, Jagden, Ritterschlag, Tournieren und dramatischen Schauspielen ward immer allgemeiner, je mehr der Wohlstand und das Bedürfniß nach Unterhaltung zunahm, und die Mittel dazu im engeren Zirkel kärglich blieben.

Der gesellige Ton gewann an Politur. Aber die unbehülfliche Förmlichkeit der vorigen Jahrhunderte wechselte nur mit einem eben so steifen Ceremoniel ab, das schöneren Formen nachstrebte. Man sprach besser, man geberdete sich reitzender. Aber alles war dabey auf das Verhältniß von Menschen berechnet, die sich selten, und nur bey feyerlichen Gelegenheiten sehen. Man konnte die Linie nicht treffen, wo sich Unbefangenheit von Ausgelassenheit, Zuvorkommung von andringlicher Schmeicheley, Selbstvertrauen von repräsentierender Anmaßung scheiden. Darum war man aufmerksamer auf sich selbst und Andre, als der tägliche Umgang es erlaubt. Man sann zu sehr darauf, sich in Geberden und Ausdrücken schön, und wohlgefällig zu zeigen: hielt methodische Gespräche, wo man Gefühle des Herzens und Gedanken des Augenblicks mit einander austauschen wollte, verwechselte Lobreden mit Höflichkeitsbezeugungen, und übertrieb aus ängstlicher Besorgniß, bey Andern widrige Empfindungen zu erregen, oder sich selbst etwas zu vergeben, die Beziehungen und Rücksichten auf die Verhältnisse um sich her. 1)

1) Die ersten Anleitungen zur Wohlerzogenheit rührten von den Mönchen her. Sie waren Frucht des Nachdenkens, nicht der Erfahrung in der größeren Welt. Ich habe ein Buch vor mir, das in dieser Rücksicht sehr interessant ist. Bienseances de la Conversation entre les hommes, eine Uebersetzung des

Festen, Jagden, Ritterschlag, Tournieren und dramatischen Schauspielen ward immer allgemeiner, je mehr der Wohlstand und das Bedürfniß nach Unterhaltung zunahm, und die Mittel dazu im engeren Zirkel kärglich blieben.

Der gesellige Ton gewann an Politur. Aber die unbehülfliche Förmlichkeit der vorigen Jahrhunderte wechselte nur mit einem eben so steifen Ceremoniel ab, das schöneren Formen nachstrebte. Man sprach besser, man geberdete sich reitzender. Aber alles war dabey auf das Verhältniß von Menschen berechnet, die sich selten, und nur bey feyerlichen Gelegenheiten sehen. Man konnte die Linie nicht treffen, wo sich Unbefangenheit von Ausgelassenheit, Zuvorkommung von andringlicher Schmeicheley, Selbstvertrauen von repräsentierender Anmaßung scheiden. Darum war man aufmerksamer auf sich selbst und Andre, als der tägliche Umgang es erlaubt. Man sann zu sehr darauf, sich in Geberden und Ausdrücken schön, und wohlgefällig zu zeigen: hielt methodische Gespräche, wo man Gefühle des Herzens und Gedanken des Augenblicks mit einander austauschen wollte, verwechselte Lobreden mit Höflichkeitsbezeugungen, und übertrieb aus ängstlicher Besorgniß, bey Andern widrige Empfindungen zu erregen, oder sich selbst etwas zu vergeben, die Beziehungen und Rücksichten auf die Verhältnisse um sich her. 1)

1) Die ersten Anleitungen zur Wohlerzogenheit rührten von den Mönchen her. Sie waren Frucht des Nachdenkens, nicht der Erfahrung in der größeren Welt. Ich habe ein Buch vor mir, das in dieser Rücksicht sehr interessant ist. Bienseances de la Conversation entre les hommes, eine Uebersetzung des
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[159/0159] Festen, Jagden, Ritterschlag, Tournieren und dramatischen Schauspielen ward immer allgemeiner, je mehr der Wohlstand und das Bedürfniß nach Unterhaltung zunahm, und die Mittel dazu im engeren Zirkel kärglich blieben. Der gesellige Ton gewann an Politur. Aber die unbehülfliche Förmlichkeit der vorigen Jahrhunderte wechselte nur mit einem eben so steifen Ceremoniel ab, das schöneren Formen nachstrebte. Man sprach besser, man geberdete sich reitzender. Aber alles war dabey auf das Verhältniß von Menschen berechnet, die sich selten, und nur bey feyerlichen Gelegenheiten sehen. Man konnte die Linie nicht treffen, wo sich Unbefangenheit von Ausgelassenheit, Zuvorkommung von andringlicher Schmeicheley, Selbstvertrauen von repräsentierender Anmaßung scheiden. Darum war man aufmerksamer auf sich selbst und Andre, als der tägliche Umgang es erlaubt. Man sann zu sehr darauf, sich in Geberden und Ausdrücken schön, und wohlgefällig zu zeigen: hielt methodische Gespräche, wo man Gefühle des Herzens und Gedanken des Augenblicks mit einander austauschen wollte, verwechselte Lobreden mit Höflichkeitsbezeugungen, und übertrieb aus ängstlicher Besorgniß, bey Andern widrige Empfindungen zu erregen, oder sich selbst etwas zu vergeben, die Beziehungen und Rücksichten auf die Verhältnisse um sich her. 1) 1) Die ersten Anleitungen zur Wohlerzogenheit rührten von den Mönchen her. Sie waren Frucht des Nachdenkens, nicht der Erfahrung in der größeren Welt. Ich habe ein Buch vor mir, das in dieser Rücksicht sehr interessant ist. Bienseances de la Conversation entre les hommes, eine Uebersetzung des

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/159>, abgerufen am 28.04.2024.