Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht.

Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster,

Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht.

Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0401" n="401"/>
Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht.</p>
          <p>Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0401] Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht. Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/401
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/401>, abgerufen am 06.05.2024.