Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe?

Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung.

Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? - Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des

Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,
Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,
Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,
Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.
Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:
Als sich Arria wandt' aus ihres Pätus Umarmung,
Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,
Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,
Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!

Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe?

Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung.

Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? – Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des

Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,
Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,
Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,
Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.
Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:
Als sich Arria wandt’ aus ihres Pätus Umarmung,
Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,
Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,
Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0060" n="60"/>
          <p>Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe?</p>
          <p>Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung.</p>
          <p>Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? &#x2013; Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des                          <note xml:id="note-0060" prev="note-0059" place="foot" n="*)"><lg type="poem"><l><hi rendition="#aq">Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.</hi><lb/></l></lg><p>Die Feinheit des Ausdrucks <hi rendition="#aq #i">dulce</hi> geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:</p><lg type="poem"><l><hi rendition="#aq">Als sich Arria wandt&#x2019; aus ihres Pätus Umarmung,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,</hi><lb/></l><l><hi rendition="#aq">Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!</hi><lb/></l></lg></note>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0060] Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe? Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung. Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? – Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des *) *) Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti, Cujus in amplexu gaudia nox tulerat, Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit, Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit. Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben: Als sich Arria wandt’ aus ihres Pätus Umarmung, Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn, Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen, Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/60
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/60>, abgerufen am 24.11.2024.