Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand. Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; - so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage. Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person. Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand. Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; – so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage. Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person. Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0315" n="315"/> Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand.</p> <p>Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; – so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage.</p> <p>Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person.</p> <p>Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0315]
Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand.
Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; – so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage.
Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person.
Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu
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