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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.
des Grausamen Füßen, sie streckt den einen Arm
aus, den Streich aufzufangen und klammert sich mit
dem andern an seine Schulter, den Streich zu hindern.
Wilde Verzweiflung und Angstgeschrei liest man auf
ihrem Gesichte, ihre ganze Stellung zeigt das Streben
nach Rettung an. Aber der Henker hört auf ihr
Geschrei nicht, er ist ihr an Stärke überlegen, er
reißt sie mit der Hand, die er frei behält, bei den
Haaren zurück. Das Kind gedrückt durch den star-
ken Körper streckt Hände und Füße, sein Kopf
schwillt, es kneift die Augen zu, und schnapt mit dem
letzten Athemzuge nach Luft.

Diese Gruppe ist mit vieler Einsicht gedacht,
aber zu schrecklich und daher dem Wesen der Kunst
nicht angemessen. Warum fügte der Mahler noch
andere Weiber hinzu, die ihre entleibten Kinder weg-
tragen, und sich die Haare ausraufen? Entweder
hätte der Mahler diese ganz weg, oder alle sich gegen
den gemeinschaftlichen Feind ihres Geschlechts verei-
nigen lassen sollen. So viel über den Gedanken.
Der Ausdruck in diesem Gemählde ist wahr, aber
unedel. Die Zeichnung ist sehr correkt. Die graue
finstere Färbung, die sonst Fehler bei diesem Meister ist,
scheint hier die Würkung des Eindrucks zu verstärken.

Der heil. Jo-
hannes von
Domenichi-
no.

+ Der heil. Johannes von Domenichino,
Zwei Engel halten ihm seine Bücher. Die Zu-
sammensetzung ist schön, aber schöner noch der Aus-
druck. Der Kopf des Johannes zeigt den sanftesten
und gefühlvollesten der Menschen. Süßigkeit
schwebt auf seinem Munde und seine Augen belebt
das Anschauen der Gottheit, die alle niedere Regungen

aus

Pallaſt Giuſtiniani.
des Grauſamen Fuͤßen, ſie ſtreckt den einen Arm
aus, den Streich aufzufangen und klammert ſich mit
dem andern an ſeine Schulter, den Streich zu hindern.
Wilde Verzweiflung und Angſtgeſchrei lieſt man auf
ihrem Geſichte, ihre ganze Stellung zeigt das Streben
nach Rettung an. Aber der Henker hoͤrt auf ihr
Geſchrei nicht, er iſt ihr an Staͤrke uͤberlegen, er
reißt ſie mit der Hand, die er frei behaͤlt, bei den
Haaren zuruͤck. Das Kind gedruͤckt durch den ſtar-
ken Koͤrper ſtreckt Haͤnde und Fuͤße, ſein Kopf
ſchwillt, es kneift die Augen zu, und ſchnapt mit dem
letzten Athemzuge nach Luft.

Dieſe Gruppe iſt mit vieler Einſicht gedacht,
aber zu ſchrecklich und daher dem Weſen der Kunſt
nicht angemeſſen. Warum fuͤgte der Mahler noch
andere Weiber hinzu, die ihre entleibten Kinder weg-
tragen, und ſich die Haare ausraufen? Entweder
haͤtte der Mahler dieſe ganz weg, oder alle ſich gegen
den gemeinſchaftlichen Feind ihres Geſchlechts verei-
nigen laſſen ſollen. So viel uͤber den Gedanken.
Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt wahr, aber
unedel. Die Zeichnung iſt ſehr correkt. Die graue
finſtere Faͤrbung, die ſonſt Fehler bei dieſem Meiſter iſt,
ſcheint hier die Wuͤrkung des Eindrucks zu verſtaͤrken.

Der heil. Jo-
hannes von
Domenichi-
no.

Der heil. Johannes von Domenichino,
Zwei Engel halten ihm ſeine Buͤcher. Die Zu-
ſammenſetzung iſt ſchoͤn, aber ſchoͤner noch der Aus-
druck. Der Kopf des Johannes zeigt den ſanfteſten
und gefuͤhlvolleſten der Menſchen. Suͤßigkeit
ſchwebt auf ſeinem Munde und ſeine Augen belebt
das Anſchauen der Gottheit, die alle niedere Regungen

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[42/0066] Pallaſt Giuſtiniani. des Grauſamen Fuͤßen, ſie ſtreckt den einen Arm aus, den Streich aufzufangen und klammert ſich mit dem andern an ſeine Schulter, den Streich zu hindern. Wilde Verzweiflung und Angſtgeſchrei lieſt man auf ihrem Geſichte, ihre ganze Stellung zeigt das Streben nach Rettung an. Aber der Henker hoͤrt auf ihr Geſchrei nicht, er iſt ihr an Staͤrke uͤberlegen, er reißt ſie mit der Hand, die er frei behaͤlt, bei den Haaren zuruͤck. Das Kind gedruͤckt durch den ſtar- ken Koͤrper ſtreckt Haͤnde und Fuͤße, ſein Kopf ſchwillt, es kneift die Augen zu, und ſchnapt mit dem letzten Athemzuge nach Luft. Dieſe Gruppe iſt mit vieler Einſicht gedacht, aber zu ſchrecklich und daher dem Weſen der Kunſt nicht angemeſſen. Warum fuͤgte der Mahler noch andere Weiber hinzu, die ihre entleibten Kinder weg- tragen, und ſich die Haare ausraufen? Entweder haͤtte der Mahler dieſe ganz weg, oder alle ſich gegen den gemeinſchaftlichen Feind ihres Geſchlechts verei- nigen laſſen ſollen. So viel uͤber den Gedanken. Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt wahr, aber unedel. Die Zeichnung iſt ſehr correkt. Die graue finſtere Faͤrbung, die ſonſt Fehler bei dieſem Meiſter iſt, ſcheint hier die Wuͤrkung des Eindrucks zu verſtaͤrken. † Der heil. Johannes von Domenichino, Zwei Engel halten ihm ſeine Buͤcher. Die Zu- ſammenſetzung iſt ſchoͤn, aber ſchoͤner noch der Aus- druck. Der Kopf des Johannes zeigt den ſanfteſten und gefuͤhlvolleſten der Menſchen. Suͤßigkeit ſchwebt auf ſeinem Munde und ſeine Augen belebt das Anſchauen der Gottheit, die alle niedere Regungen aus

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/66>, abgerufen am 22.11.2024.