So schärfen die Künste, so stärken die Künste den Verstand im Ganzen. Aber auch für das mo- ralische Gefühl kann das bloße Vergnügen an dem sichtbar Vollkommenen, ohne unmittelbare Rücksicht auf dessen Besserung wieder im Ganzen, von den seligsten Folgen seyn.
Wer wird den Anspruch des Menschen auf Er- holung, auf Muße, aufs uneigennützige Vergnügen, auf jenes dolce far niente der Italiener, ver- kennen! Und wie oft wird es nur mit Verderben für Geist und Körper aufgesucht! Eine Kunst die ohne der geselligen Bestimmung zu schaden, ohne eigen- nützige oder gröbere Triebe zu nähren, diese Erho- lung, diese geschäfftlose Beschäfftigung gewährt, soll sie nicht wenigstens mit dem so oft misbrauchten Kar- tenspiele, und andern Unterhaltungen dieser Art in eine Classe gesetzt werden? Doch! sie hat Ansprüche auf einen höheren Rang unter den Beförderungs- mitteln der Tugend! Das Gefühl des sichtbar Voll- kommenen, wäre es auch nur dasjenige, was durch die Wahrnehmung der Harmonie der Farben und der Lichter, also durch die unterste Art des Schönen erweckt wird, hängt mit dem Gefühl des moralisch Vollkommenen so genau zusammen, scheint so sehr auf einer und derselben Grundfähigkeit zu beruhen, daß man sie dreist für Sprößlinge einer und derselben Wurzel ansehen kann, oder, wenn man lieber will, für verschiedene Trompen, mit denen eine gemein- schaftliche Nahrung zur Erhaltung und Entwickelung des einfachen Keims des Guten und Schönen einge- sogen wird. Schwerlich wird der Holländer der die sichtbare Vollkommenheit in den Theilen, worin
Teniers
A 5
Pallaſt Giuſtiniani.
So ſchaͤrfen die Kuͤnſte, ſo ſtaͤrken die Kuͤnſte den Verſtand im Ganzen. Aber auch fuͤr das mo- raliſche Gefuͤhl kann das bloße Vergnuͤgen an dem ſichtbar Vollkommenen, ohne unmittelbare Ruͤckſicht auf deſſen Beſſerung wieder im Ganzen, von den ſeligſten Folgen ſeyn.
Wer wird den Anſpruch des Menſchen auf Er- holung, auf Muße, aufs uneigennuͤtzige Vergnuͤgen, auf jenes dolce far niente der Italiener, ver- kennen! Und wie oft wird es nur mit Verderben fuͤr Geiſt und Koͤrper aufgeſucht! Eine Kunſt die ohne der geſelligen Beſtimmung zu ſchaden, ohne eigen- nuͤtzige oder groͤbere Triebe zu naͤhren, dieſe Erho- lung, dieſe geſchaͤfftloſe Beſchaͤfftigung gewaͤhrt, ſoll ſie nicht wenigſtens mit dem ſo oft misbrauchten Kar- tenſpiele, und andern Unterhaltungen dieſer Art in eine Claſſe geſetzt werden? Doch! ſie hat Anſpruͤche auf einen hoͤheren Rang unter den Befoͤrderungs- mitteln der Tugend! Das Gefuͤhl des ſichtbar Voll- kommenen, waͤre es auch nur dasjenige, was durch die Wahrnehmung der Harmonie der Farben und der Lichter, alſo durch die unterſte Art des Schoͤnen erweckt wird, haͤngt mit dem Gefuͤhl des moraliſch Vollkommenen ſo genau zuſammen, ſcheint ſo ſehr auf einer und derſelben Grundfaͤhigkeit zu beruhen, daß man ſie dreiſt fuͤr Sproͤßlinge einer und derſelben Wurzel anſehen kann, oder, wenn man lieber will, fuͤr verſchiedene Trompen, mit denen eine gemein- ſchaftliche Nahrung zur Erhaltung und Entwickelung des einfachen Keims des Guten und Schoͤnen einge- ſogen wird. Schwerlich wird der Hollaͤnder der die ſichtbare Vollkommenheit in den Theilen, worin
Teniers
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Pallaſt Giuſtiniani.
So ſchaͤrfen die Kuͤnſte, ſo ſtaͤrken die Kuͤnſte
den Verſtand im Ganzen. Aber auch fuͤr das mo-
raliſche Gefuͤhl kann das bloße Vergnuͤgen an dem
ſichtbar Vollkommenen, ohne unmittelbare Ruͤckſicht
auf deſſen Beſſerung wieder im Ganzen, von den
ſeligſten Folgen ſeyn.
Wer wird den Anſpruch des Menſchen auf Er-
holung, auf Muße, aufs uneigennuͤtzige Vergnuͤgen,
auf jenes dolce far niente der Italiener, ver-
kennen! Und wie oft wird es nur mit Verderben fuͤr
Geiſt und Koͤrper aufgeſucht! Eine Kunſt die ohne
der geſelligen Beſtimmung zu ſchaden, ohne eigen-
nuͤtzige oder groͤbere Triebe zu naͤhren, dieſe Erho-
lung, dieſe geſchaͤfftloſe Beſchaͤfftigung gewaͤhrt, ſoll
ſie nicht wenigſtens mit dem ſo oft misbrauchten Kar-
tenſpiele, und andern Unterhaltungen dieſer Art in
eine Claſſe geſetzt werden? Doch! ſie hat Anſpruͤche
auf einen hoͤheren Rang unter den Befoͤrderungs-
mitteln der Tugend! Das Gefuͤhl des ſichtbar Voll-
kommenen, waͤre es auch nur dasjenige, was durch
die Wahrnehmung der Harmonie der Farben und
der Lichter, alſo durch die unterſte Art des Schoͤnen
erweckt wird, haͤngt mit dem Gefuͤhl des moraliſch
Vollkommenen ſo genau zuſammen, ſcheint ſo ſehr
auf einer und derſelben Grundfaͤhigkeit zu beruhen,
daß man ſie dreiſt fuͤr Sproͤßlinge einer und derſelben
Wurzel anſehen kann, oder, wenn man lieber will,
fuͤr verſchiedene Trompen, mit denen eine gemein-
ſchaftliche Nahrung zur Erhaltung und Entwickelung
des einfachen Keims des Guten und Schoͤnen einge-
ſogen wird. Schwerlich wird der Hollaͤnder der die
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/33>, abgerufen am 12.12.2024.
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