Oder soll ihn das bestimmen: ob die Einbil- dungskraft des Beschauers, dessen Gefühl für das sichtbar Vollkommene und Wahre, für den Augen- blick der Beschauung seines Werks, ohne Rücksicht auf Vorempfindung und künftigen Gewinn, an der Darstellung Unterhaltung finden werde: kurz! ob gegenwärtiges Vergnügen im eigentlichsten Verstande, Vergnügen des Augenblicks, der Wegweiser seiner Bemühungen seyn müsse.
Ich fühle, daß ich hier noch nicht ganz verständ- lich bin, aber ich werde es in der Folge werden, wenn Beispiele zur Lehre hinzutreten. Nur um einem Misverstande vorzubeugen, erkläre ich hier nochmals, daß ich Vergnügen, als Würkung bil- dender Künste, für den gegenwärtig wohlgefälligen Eindruck nehme, den der bloße Anblick eines für sich stehenden Bildes giebt: Unter Nutzen aber auch das Vergnügen begreife, welches überhaupt die Veran- lassung zu ferneren angenehmen Sensationen jeder Art durch den Anblick des Bildes gewährt.
Nur unsere Erfahrungen über die wesentlichenDer ange- nehme Ein- druck des Anblicks, der Ideen und Gefühle die mit demsel- ben für den Augenblick in der Seele jedes wohl- erzogenen Bestandtheile des angenehmen Eindrucks, den wir von den Künsten empfangen haben, können uns bei Entscheidung dieser Frage zur Richtschnur dienen: nicht das Ideal, welches wir uns von dem höchsten Zwecke der Kunst ohne Kenntniß ihrer Kräfte ma- chen: nicht der Eindruck, den wir von ihnen zum Besten des einzelnen Menschen, oder zum Besten eines idealischen Ganzen, erwarten möchten.
Jener Torso di Belvedere ohne Kopf, Arm und Beine, was giebt er für den Augenblick meinem
Herzen
A 2
Pallaſt Giuſtiniani.
Oder ſoll ihn das beſtimmen: ob die Einbil- dungskraft des Beſchauers, deſſen Gefuͤhl fuͤr das ſichtbar Vollkommene und Wahre, fuͤr den Augen- blick der Beſchauung ſeines Werks, ohne Ruͤckſicht auf Vorempfindung und kuͤnftigen Gewinn, an der Darſtellung Unterhaltung finden werde: kurz! ob gegenwaͤrtiges Vergnuͤgen im eigentlichſten Verſtande, Vergnuͤgen des Augenblicks, der Wegweiſer ſeiner Bemuͤhungen ſeyn muͤſſe.
Ich fuͤhle, daß ich hier noch nicht ganz verſtaͤnd- lich bin, aber ich werde es in der Folge werden, wenn Beiſpiele zur Lehre hinzutreten. Nur um einem Misverſtande vorzubeugen, erklaͤre ich hier nochmals, daß ich Vergnuͤgen, als Wuͤrkung bil- dender Kuͤnſte, fuͤr den gegenwaͤrtig wohlgefaͤlligen Eindruck nehme, den der bloße Anblick eines fuͤr ſich ſtehenden Bildes giebt: Unter Nutzen aber auch das Vergnuͤgen begreife, welches uͤberhaupt die Veran- laſſung zu ferneren angenehmen Senſationen jeder Art durch den Anblick des Bildes gewaͤhrt.
Nur unſere Erfahrungen uͤber die weſentlichenDer ange- nehme Ein- druck des Anblicks, der Ideen und Gefuͤhle die mit demſel- ben fuͤr den Augenblick in der Seele jedes wohl- erzogenen Beſtandtheile des angenehmen Eindrucks, den wir von den Kuͤnſten empfangen haben, koͤnnen uns bei Entſcheidung dieſer Frage zur Richtſchnur dienen: nicht das Ideal, welches wir uns von dem hoͤchſten Zwecke der Kunſt ohne Kenntniß ihrer Kraͤfte ma- chen: nicht der Eindruck, den wir von ihnen zum Beſten des einzelnen Menſchen, oder zum Beſten eines idealiſchen Ganzen, erwarten moͤchten.
Jener Torſo di Belvedere ohne Kopf, Arm und Beine, was giebt er fuͤr den Augenblick meinem
Herzen
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Pallaſt Giuſtiniani.
Oder ſoll ihn das beſtimmen: ob die Einbil-
dungskraft des Beſchauers, deſſen Gefuͤhl fuͤr das
ſichtbar Vollkommene und Wahre, fuͤr den Augen-
blick der Beſchauung ſeines Werks, ohne Ruͤckſicht
auf Vorempfindung und kuͤnftigen Gewinn, an der
Darſtellung Unterhaltung finden werde: kurz! ob
gegenwaͤrtiges Vergnuͤgen im eigentlichſten Verſtande,
Vergnuͤgen des Augenblicks, der Wegweiſer ſeiner
Bemuͤhungen ſeyn muͤſſe.
Ich fuͤhle, daß ich hier noch nicht ganz verſtaͤnd-
lich bin, aber ich werde es in der Folge werden,
wenn Beiſpiele zur Lehre hinzutreten. Nur um
einem Misverſtande vorzubeugen, erklaͤre ich hier
nochmals, daß ich Vergnuͤgen, als Wuͤrkung bil-
dender Kuͤnſte, fuͤr den gegenwaͤrtig wohlgefaͤlligen
Eindruck nehme, den der bloße Anblick eines fuͤr ſich
ſtehenden Bildes giebt: Unter Nutzen aber auch das
Vergnuͤgen begreife, welches uͤberhaupt die Veran-
laſſung zu ferneren angenehmen Senſationen jeder
Art durch den Anblick des Bildes gewaͤhrt.
Nur unſere Erfahrungen uͤber die weſentlichen
Beſtandtheile des angenehmen Eindrucks, den wir
von den Kuͤnſten empfangen haben, koͤnnen uns bei
Entſcheidung dieſer Frage zur Richtſchnur dienen:
nicht das Ideal, welches wir uns von dem hoͤchſten
Zwecke der Kunſt ohne Kenntniß ihrer Kraͤfte ma-
chen: nicht der Eindruck, den wir von ihnen zum
Beſten des einzelnen Menſchen, oder zum Beſten
eines idealiſchen Ganzen, erwarten moͤchten.
Der ange-
nehme Ein-
druck des
Anblicks, der
Ideen und
Gefuͤhle die
mit demſel-
ben fuͤr den
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/27>, abgerufen am 25.11.2024.
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