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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Anmerkungen

Es liegt schon bei dem Basrelief, das eine ein-
zige Figur erhoben zeigt, eine gewisse Verabredung
zum Grunde, die halbrunde Form als ganz rund an-
zunehmen. So hart an die Fläche gepreßt steht kein
runder Körper, daß der seitwärts fallende Lichtstrahl
nicht durch die Abweichungen jenes Körpers von der
Mauer an einigen Stellen durchfallen sollte: und
allemal wird der Umfang des Schlagschattens, die
Stärke des höchsten Lichts, und die Degradation der
Halbschatten uns gar leicht belehren, ob die Figur
halb oder ganz rund sey. Inzwischen diese kleine
Unwahrscheinlichkeit schenken wir zu Gunsten des Ver-
gnügens, das uns die Darstellung übrigens macht.
Wenn nun aber der Künstler mehrere Körper auf
einander pöckelt, mir respektive sechsachtel, vierachtel,
zweiachtel, einachtel runde Figuren für vier Ganze
versellen, und das Streiflicht, welches durch die Ab-
weichungen eines Körpers von dem andern nothwen-
dig durchfallen muß, überher in den Kauf haben
will, so heißt dies doch offenbar meine Gutherzigkeit
misbrauchen. --

Man pflegt oft die vorher angegebene stufen-
weise Proportion zu überschreiten, die dem Beschauer
zunächst stehende Figur einer Gruppe stark hervorzu-
heben, die entfernteren aber sehr flach zu halten, so
daß ohngefähr die erste sich zu der folgenden wie
siebenachtel zu einachtel oder wenigstens wie drei-
viertel zu einviertel verhält: Neue Unwahrschein-
lichkeit! Warum erscheint von zwei bis drei Fi-
guren, die sich einander so nahe stehen, um eine Grup-
pe zu bilden, die eine meinem Auge so nahe, die an-
dere so fern? Sie sind alle drei noch in der Distanz,

in
Anmerkungen

Es liegt ſchon bei dem Basrelief, das eine ein-
zige Figur erhoben zeigt, eine gewiſſe Verabredung
zum Grunde, die halbrunde Form als ganz rund an-
zunehmen. So hart an die Flaͤche gepreßt ſteht kein
runder Koͤrper, daß der ſeitwaͤrts fallende Lichtſtrahl
nicht durch die Abweichungen jenes Koͤrpers von der
Mauer an einigen Stellen durchfallen ſollte: und
allemal wird der Umfang des Schlagſchattens, die
Staͤrke des hoͤchſten Lichts, und die Degradation der
Halbſchatten uns gar leicht belehren, ob die Figur
halb oder ganz rund ſey. Inzwiſchen dieſe kleine
Unwahrſcheinlichkeit ſchenken wir zu Gunſten des Ver-
gnuͤgens, das uns die Darſtellung uͤbrigens macht.
Wenn nun aber der Kuͤnſtler mehrere Koͤrper auf
einander poͤckelt, mir reſpektive ſechsachtel, vierachtel,
zweiachtel, einachtel runde Figuren fuͤr vier Ganze
verſellen, und das Streiflicht, welches durch die Ab-
weichungen eines Koͤrpers von dem andern nothwen-
dig durchfallen muß, uͤberher in den Kauf haben
will, ſo heißt dies doch offenbar meine Gutherzigkeit
misbrauchen. —

Man pflegt oft die vorher angegebene ſtufen-
weiſe Proportion zu uͤberſchreiten, die dem Beſchauer
zunaͤchſt ſtehende Figur einer Gruppe ſtark hervorzu-
heben, die entfernteren aber ſehr flach zu halten, ſo
daß ohngefaͤhr die erſte ſich zu der folgenden wie
ſiebenachtel zu einachtel oder wenigſtens wie drei-
viertel zu einviertel verhaͤlt: Neue Unwahrſchein-
lichkeit! Warum erſcheint von zwei bis drei Fi-
guren, die ſich einander ſo nahe ſtehen, um eine Grup-
pe zu bilden, die eine meinem Auge ſo nahe, die an-
dere ſo fern? Sie ſind alle drei noch in der Diſtanz,

in
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[236/0260] Anmerkungen Es liegt ſchon bei dem Basrelief, das eine ein- zige Figur erhoben zeigt, eine gewiſſe Verabredung zum Grunde, die halbrunde Form als ganz rund an- zunehmen. So hart an die Flaͤche gepreßt ſteht kein runder Koͤrper, daß der ſeitwaͤrts fallende Lichtſtrahl nicht durch die Abweichungen jenes Koͤrpers von der Mauer an einigen Stellen durchfallen ſollte: und allemal wird der Umfang des Schlagſchattens, die Staͤrke des hoͤchſten Lichts, und die Degradation der Halbſchatten uns gar leicht belehren, ob die Figur halb oder ganz rund ſey. Inzwiſchen dieſe kleine Unwahrſcheinlichkeit ſchenken wir zu Gunſten des Ver- gnuͤgens, das uns die Darſtellung uͤbrigens macht. Wenn nun aber der Kuͤnſtler mehrere Koͤrper auf einander poͤckelt, mir reſpektive ſechsachtel, vierachtel, zweiachtel, einachtel runde Figuren fuͤr vier Ganze verſellen, und das Streiflicht, welches durch die Ab- weichungen eines Koͤrpers von dem andern nothwen- dig durchfallen muß, uͤberher in den Kauf haben will, ſo heißt dies doch offenbar meine Gutherzigkeit misbrauchen. — Man pflegt oft die vorher angegebene ſtufen- weiſe Proportion zu uͤberſchreiten, die dem Beſchauer zunaͤchſt ſtehende Figur einer Gruppe ſtark hervorzu- heben, die entfernteren aber ſehr flach zu halten, ſo daß ohngefaͤhr die erſte ſich zu der folgenden wie ſiebenachtel zu einachtel oder wenigſtens wie drei- viertel zu einviertel verhaͤlt: Neue Unwahrſchein- lichkeit! Warum erſcheint von zwei bis drei Fi- guren, die ſich einander ſo nahe ſtehen, um eine Grup- pe zu bilden, die eine meinem Auge ſo nahe, die an- dere ſo fern? Sie ſind alle drei noch in der Diſtanz, in

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/260>, abgerufen am 22.11.2024.