Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
über die einzelnen Kirchen.

Ich entscheide nichts! Allein darum bitte ich denWarnung
aufgewor-
fen.

Künstler: keine Handlung, die dem Eindruck von
Schönheit schade, keine, die eine Thätigkeit anzeige,
deren Grund nicht vollständig aus dem Bilde selbst
zu erkennen sey! 8)


Ich gehe nun zu den Kunstwerken selbst über.Bemerkun-
gen über die
Kunstwerke
im Einzel-
nen.

In der Halle vor der Kirche.

Die Ritterstatuen Constantins, und Carls
des Großen,
die erste von Bernini, die zweite

von
8) Ich muß bei dieser Gelegenheit ein Wort über dasZweifel über
das Grab-
mal der Ma-
dame Lang-
hans von
Hrn. Nahl.

Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl
sagen, welches sehr berühmt ist -- bei Schriftstel-
lern. Ich habe es nicht gesehen, aber nach dem
Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider sich
haben. Der Stein zerspringt bei dem Schall des
himmlischen Machtworts der Auferweckung, die
Auferstehende steigt hervor mit dem Kinde, dessen
Geburt ihr das Leben gekostet hatte, und das gleich
darauf seiner Mutter folgte.
Der Ausdruck dieser Handlung, sagt man, sey
vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung ist in
der Sculptur nicht Hauptsache, es sind die Formen
des Körpers, und diese sind durch den zerspringen-
den Stein größtentheils versteckt. Dazu hat der
Künstler nicht bedacht, daß ein zerspringender Stein
in der Sculptur immer nur ein halbzersprungener
bleibe, der die arme Frau, die dazwischen steckt, für
das Auge kneift. -- Die ähnliche Idee der Mut-
ter des le Brun, die beim Schall der Posaune aus
dem Grabe steigt, in der Kirche St. Nicolas du
Chardonnet zu Paris, mag wohl zu dieser die Ver-
anlassung gegeben haben.
uͤber die einzelnen Kirchen.

Ich entſcheide nichts! Allein darum bitte ich denWarnung
aufgewor-
fen.

Kuͤnſtler: keine Handlung, die dem Eindruck von
Schoͤnheit ſchade, keine, die eine Thaͤtigkeit anzeige,
deren Grund nicht vollſtaͤndig aus dem Bilde ſelbſt
zu erkennen ſey! 8)


Ich gehe nun zu den Kunſtwerken ſelbſt uͤber.Bemerkun-
gen uͤber die
Kunſtwerke
im Einzel-
nen.

In der Halle vor der Kirche.

Die Ritterſtatuen Conſtantins, und Carls
des Großen,
die erſte von Bernini, die zweite

von
8) Ich muß bei dieſer Gelegenheit ein Wort uͤber dasZweifel uͤber
das Grab-
mal der Ma-
dame Lang-
hans von
Hrn. Nahl.

Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl
ſagen, welches ſehr beruͤhmt iſt — bei Schriftſtel-
lern. Ich habe es nicht geſehen, aber nach dem
Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider ſich
haben. Der Stein zerſpringt bei dem Schall des
himmliſchen Machtworts der Auferweckung, die
Auferſtehende ſteigt hervor mit dem Kinde, deſſen
Geburt ihr das Leben gekoſtet hatte, und das gleich
darauf ſeiner Mutter folgte.
Der Ausdruck dieſer Handlung, ſagt man, ſey
vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung iſt in
der Sculptur nicht Hauptſache, es ſind die Formen
des Koͤrpers, und dieſe ſind durch den zerſpringen-
den Stein groͤßtentheils verſteckt. Dazu hat der
Kuͤnſtler nicht bedacht, daß ein zerſpringender Stein
in der Sculptur immer nur ein halbzerſprungener
bleibe, der die arme Frau, die dazwiſchen ſteckt, fuͤr
das Auge kneift. — Die aͤhnliche Idee der Mut-
ter des le Brun, die beim Schall der Poſaune aus
dem Grabe ſteigt, in der Kirche St. Nicolas du
Chardonnet zu Paris, mag wohl zu dieſer die Ver-
anlaſſung gegeben haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0247" n="223"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">u&#x0364;ber die einzelnen Kirchen.</hi> </fw><lb/>
            <p>Ich ent&#x017F;cheide nichts! Allein darum bitte ich den<note place="right">Warnung<lb/>
aufgewor-<lb/>
fen.</note><lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler: keine Handlung, die dem Eindruck von<lb/>
Scho&#x0364;nheit &#x017F;chade, keine, die eine Tha&#x0364;tigkeit anzeige,<lb/>
deren Grund nicht voll&#x017F;ta&#x0364;ndig aus dem Bilde &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu erkennen &#x017F;ey! <note place="foot" n="8)">Ich muß bei die&#x017F;er Gelegenheit ein Wort u&#x0364;ber das<note place="right">Zweifel u&#x0364;ber<lb/>
das Grab-<lb/>
mal der Ma-<lb/>
dame Lang-<lb/>
hans von<lb/>
Hrn. Nahl.</note><lb/>
Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl<lb/>
&#x017F;agen, welches &#x017F;ehr beru&#x0364;hmt i&#x017F;t &#x2014; bei Schrift&#x017F;tel-<lb/>
lern. Ich habe es nicht ge&#x017F;ehen, aber nach dem<lb/>
Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider &#x017F;ich<lb/>
haben. Der Stein zer&#x017F;pringt bei dem Schall des<lb/>
himmli&#x017F;chen Machtworts der Auferweckung, die<lb/>
Aufer&#x017F;tehende &#x017F;teigt hervor mit dem Kinde, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Geburt ihr das Leben geko&#x017F;tet hatte, und das gleich<lb/>
darauf &#x017F;einer Mutter folgte.<lb/>
Der Ausdruck die&#x017F;er Handlung, &#x017F;agt man, &#x017F;ey<lb/>
vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung i&#x017F;t in<lb/>
der Sculptur nicht Haupt&#x017F;ache, es &#x017F;ind die Formen<lb/>
des Ko&#x0364;rpers, und die&#x017F;e &#x017F;ind durch den zer&#x017F;pringen-<lb/>
den Stein gro&#x0364;ßtentheils ver&#x017F;teckt. Dazu hat der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler nicht bedacht, daß ein zer&#x017F;pringender Stein<lb/>
in der Sculptur immer nur ein halbzer&#x017F;prungener<lb/>
bleibe, der die arme Frau, die dazwi&#x017F;chen &#x017F;teckt, fu&#x0364;r<lb/>
das Auge kneift. &#x2014; Die a&#x0364;hnliche Idee der Mut-<lb/>
ter des le Brun, die beim Schall der Po&#x017F;aune aus<lb/>
dem Grabe &#x017F;teigt, in der Kirche St. Nicolas du<lb/>
Chardonnet zu Paris, mag wohl zu die&#x017F;er die Ver-<lb/>
anla&#x017F;&#x017F;ung gegeben haben.</note></p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Ich gehe nun zu den Kun&#x017F;twerken &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber.<note place="right">Bemerkun-<lb/>
gen u&#x0364;ber die<lb/>
Kun&#x017F;twerke<lb/>
im Einzel-<lb/>
nen.</note></p><lb/>
            <div n="4">
              <head>In der Halle vor der Kirche.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Die Ritter&#x017F;tatuen Con&#x017F;tantins,</hi> und <hi rendition="#fr">Carls<lb/>
des Großen,</hi> die er&#x017F;te von <hi rendition="#fr">Bernini,</hi> die zweite<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0247] uͤber die einzelnen Kirchen. Ich entſcheide nichts! Allein darum bitte ich den Kuͤnſtler: keine Handlung, die dem Eindruck von Schoͤnheit ſchade, keine, die eine Thaͤtigkeit anzeige, deren Grund nicht vollſtaͤndig aus dem Bilde ſelbſt zu erkennen ſey! 8) Warnung aufgewor- fen. Ich gehe nun zu den Kunſtwerken ſelbſt uͤber. Bemerkun- gen uͤber die Kunſtwerke im Einzel- nen. In der Halle vor der Kirche. Die Ritterſtatuen Conſtantins, und Carls des Großen, die erſte von Bernini, die zweite von 8) Ich muß bei dieſer Gelegenheit ein Wort uͤber das Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl ſagen, welches ſehr beruͤhmt iſt — bei Schriftſtel- lern. Ich habe es nicht geſehen, aber nach dem Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider ſich haben. Der Stein zerſpringt bei dem Schall des himmliſchen Machtworts der Auferweckung, die Auferſtehende ſteigt hervor mit dem Kinde, deſſen Geburt ihr das Leben gekoſtet hatte, und das gleich darauf ſeiner Mutter folgte. Der Ausdruck dieſer Handlung, ſagt man, ſey vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung iſt in der Sculptur nicht Hauptſache, es ſind die Formen des Koͤrpers, und dieſe ſind durch den zerſpringen- den Stein groͤßtentheils verſteckt. Dazu hat der Kuͤnſtler nicht bedacht, daß ein zerſpringender Stein in der Sculptur immer nur ein halbzerſprungener bleibe, der die arme Frau, die dazwiſchen ſteckt, fuͤr das Auge kneift. — Die aͤhnliche Idee der Mut- ter des le Brun, die beim Schall der Poſaune aus dem Grabe ſteigt, in der Kirche St. Nicolas du Chardonnet zu Paris, mag wohl zu dieſer die Ver- anlaſſung gegeben haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/247
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/247>, abgerufen am 23.11.2024.