Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Pallast

Dies geschieht nicht bei uns. Man setzt, mit
dem Ausdruck: "Der junge Mann muß erst sehen
lernen," diesen hinter eine fein gestrichelte Zeichnung
seines Meisters, deren ungetreuer Reiz diesem viel-
leicht den Platz eines Professors bei der Academie er-
worben hat, und läßt ihn wieder nachstricheln.
Der junge Mann denkt viel an die Uebereinstim-
mung seines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur
an dessen wohlgefällige Form, und ahmt das Züfäl-
lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das
Nothwendige.

Anders genießt man, anders lernt man, das
sollte bedacht werden. Selbst wenn man den Jüng-
ling zur steinernen Nachbildung der Figur bringt, so
lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in erschwer-
ter Maaße, die Natur mit fremden Augen sehen.
Was ist die Folge? Daß der junge Künstler, bei der
Reproducirung eines Gegenstandes aus der Natur,
nicht das liefert, was ihm, sondern was seinem Mei-
ster daran aufgefallen ist: nur mit dem Unterschiede,
weder so eigenthümlich, noch so richtig, und wahr.
Der Copist kann das Wesentliche von dem Unwe-
sentlichen nicht so genau unterscheiden, wie der erste
Nachbilder der Natur; er kann unter dem Wesentli-
chen nicht dasjenige aussuchen, wodurch es ihm am
auffallendsten wird, oder wodurch er es wenigstens
dem Beschauer seiner Nachbildung vermöge eines be-
sondern Talents vorzüglich auffallend würde ge-
macht haben. Das junge Genie, das durch ein
wahres Colorit eine mittelmäßig gezeichnete Figur
als wahr erscheinen lassen könnte, wird, wenn es
viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung eines

Bestand-
Pallaſt

Dies geſchieht nicht bei uns. Man ſetzt, mit
dem Ausdruck: „Der junge Mann muß erſt ſehen
lernen,“ dieſen hinter eine fein geſtrichelte Zeichnung
ſeines Meiſters, deren ungetreuer Reiz dieſem viel-
leicht den Platz eines Profeſſors bei der Academie er-
worben hat, und laͤßt ihn wieder nachſtricheln.
Der junge Mann denkt viel an die Uebereinſtim-
mung ſeines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur
an deſſen wohlgefaͤllige Form, und ahmt das Zuͤfaͤl-
lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das
Nothwendige.

Anders genießt man, anders lernt man, das
ſollte bedacht werden. Selbſt wenn man den Juͤng-
ling zur ſteinernen Nachbildung der Figur bringt, ſo
lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in erſchwer-
ter Maaße, die Natur mit fremden Augen ſehen.
Was iſt die Folge? Daß der junge Kuͤnſtler, bei der
Reproducirung eines Gegenſtandes aus der Natur,
nicht das liefert, was ihm, ſondern was ſeinem Mei-
ſter daran aufgefallen iſt: nur mit dem Unterſchiede,
weder ſo eigenthuͤmlich, noch ſo richtig, und wahr.
Der Copiſt kann das Weſentliche von dem Unwe-
ſentlichen nicht ſo genau unterſcheiden, wie der erſte
Nachbilder der Natur; er kann unter dem Weſentli-
chen nicht dasjenige ausſuchen, wodurch es ihm am
auffallendſten wird, oder wodurch er es wenigſtens
dem Beſchauer ſeiner Nachbildung vermoͤge eines be-
ſondern Talents vorzuͤglich auffallend wuͤrde ge-
macht haben. Das junge Genie, das durch ein
wahres Colorit eine mittelmaͤßig gezeichnete Figur
als wahr erſcheinen laſſen koͤnnte, wird, wenn es
viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung eines

Beſtand-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0168" n="144"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Palla&#x017F;t</hi> </fw><lb/>
        <p>Dies ge&#x017F;chieht nicht bei uns. Man &#x017F;etzt, mit<lb/>
dem Ausdruck: &#x201E;Der junge Mann muß er&#x017F;t &#x017F;ehen<lb/>
lernen,&#x201C; die&#x017F;en hinter eine fein ge&#x017F;trichelte Zeichnung<lb/>
&#x017F;eines Mei&#x017F;ters, deren ungetreuer Reiz die&#x017F;em viel-<lb/>
leicht den Platz eines Profe&#x017F;&#x017F;ors bei der Academie er-<lb/>
worben hat, und la&#x0364;ßt ihn wieder nach&#x017F;tricheln.<lb/>
Der junge Mann denkt viel an die Ueberein&#x017F;tim-<lb/>
mung &#x017F;eines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur<lb/>
an de&#x017F;&#x017F;en wohlgefa&#x0364;llige Form, und ahmt das Zu&#x0364;fa&#x0364;l-<lb/>
lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das<lb/>
Nothwendige.</p><lb/>
        <p>Anders genießt man, anders lernt man, das<lb/>
&#x017F;ollte bedacht werden. Selb&#x017F;t wenn man den Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling zur &#x017F;teinernen Nachbildung der Figur bringt, &#x017F;o<lb/>
lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in er&#x017F;chwer-<lb/>
ter Maaße, die Natur mit fremden Augen &#x017F;ehen.<lb/>
Was i&#x017F;t die Folge? Daß der junge Ku&#x0364;n&#x017F;tler, bei der<lb/>
Reproducirung eines Gegen&#x017F;tandes aus der Natur,<lb/>
nicht das liefert, was ihm, &#x017F;ondern was &#x017F;einem Mei-<lb/>
&#x017F;ter daran aufgefallen i&#x017F;t: nur mit dem Unter&#x017F;chiede,<lb/>
weder &#x017F;o eigenthu&#x0364;mlich, noch &#x017F;o richtig, und wahr.<lb/>
Der Copi&#x017F;t kann das We&#x017F;entliche von dem Unwe-<lb/>
&#x017F;entlichen nicht &#x017F;o genau unter&#x017F;cheiden, wie der er&#x017F;te<lb/>
Nachbilder der Natur; er kann unter dem We&#x017F;entli-<lb/>
chen nicht dasjenige aus&#x017F;uchen, wodurch es ihm am<lb/>
auffallend&#x017F;ten wird, oder wodurch er es wenig&#x017F;tens<lb/>
dem Be&#x017F;chauer &#x017F;einer Nachbildung vermo&#x0364;ge eines be-<lb/>
&#x017F;ondern Talents vorzu&#x0364;glich auffallend wu&#x0364;rde ge-<lb/>
macht haben. Das junge Genie, das durch ein<lb/>
wahres Colorit eine mittelma&#x0364;ßig gezeichnete Figur<lb/>
als wahr er&#x017F;cheinen la&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte, wird, wenn es<lb/>
viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung eines<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Be&#x017F;tand-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0168] Pallaſt Dies geſchieht nicht bei uns. Man ſetzt, mit dem Ausdruck: „Der junge Mann muß erſt ſehen lernen,“ dieſen hinter eine fein geſtrichelte Zeichnung ſeines Meiſters, deren ungetreuer Reiz dieſem viel- leicht den Platz eines Profeſſors bei der Academie er- worben hat, und laͤßt ihn wieder nachſtricheln. Der junge Mann denkt viel an die Uebereinſtim- mung ſeines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur an deſſen wohlgefaͤllige Form, und ahmt das Zuͤfaͤl- lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das Nothwendige. Anders genießt man, anders lernt man, das ſollte bedacht werden. Selbſt wenn man den Juͤng- ling zur ſteinernen Nachbildung der Figur bringt, ſo lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in erſchwer- ter Maaße, die Natur mit fremden Augen ſehen. Was iſt die Folge? Daß der junge Kuͤnſtler, bei der Reproducirung eines Gegenſtandes aus der Natur, nicht das liefert, was ihm, ſondern was ſeinem Mei- ſter daran aufgefallen iſt: nur mit dem Unterſchiede, weder ſo eigenthuͤmlich, noch ſo richtig, und wahr. Der Copiſt kann das Weſentliche von dem Unwe- ſentlichen nicht ſo genau unterſcheiden, wie der erſte Nachbilder der Natur; er kann unter dem Weſentli- chen nicht dasjenige ausſuchen, wodurch es ihm am auffallendſten wird, oder wodurch er es wenigſtens dem Beſchauer ſeiner Nachbildung vermoͤge eines be- ſondern Talents vorzuͤglich auffallend wuͤrde ge- macht haben. Das junge Genie, das durch ein wahres Colorit eine mittelmaͤßig gezeichnete Figur als wahr erſcheinen laſſen koͤnnte, wird, wenn es viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung eines Beſtand-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/168
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/168>, abgerufen am 24.11.2024.