einer andern affektvollen Thätigkeit zu sehen, wird das Jemand erwarten? keinesweges! sondern man will den Ausdruck individueller Fähigkeiten der Seele zum Handeln überhaupt, an den individuellen For- men des Körpers in Ruhe wahrnehmen.
Der zweite folgt nach: er kündigt einen Kopf an, der so natürlich weint, daß, wie das Anschlag- zettel wieder sagt, es unmöglich sey, ihn anzusehen ohne mitzuweinen. Kein Mensch wird hier daran denken, neben dem Ausdruck dieser bestimmten Thä- tigkeit der Seele, nun auch die Veranlassung dazu zu sehen. Die denkt sich jeder von selbst hinzu: je- der macht sich seine Exposition, seine Erzählung. Es ist die sinnlich sichtbare Beschreibung des Aus- drucks einer bestimmten Fassung der Seele.
Zuletzt langt ein Künstler mit einer Punschge- sellschaft an. Er annoncirt sie als eine Menge Fi- guren, Priester, Parlamentsglieder u. s. w. mit allen Modificationen einer lustigen Gesellschaft, welche Punsch trinkt. Ist es glaublich, daß wir unsere Erwartungen erfüllt halten würden, wenn uns der Künstler nun den einzelnen Priester, das einzelne Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers hin aufgestellt zeigen, und uns Tisch und Punsch und Gesellschaft hinzudenken lassen wollte? Gewiß nicht! Wir wollen die völlige Vorstellung des Auftrittes mit dem Grade der Illusion haben, daß, wenn wir unvorbereitet die Thür des Versammlungs- zimmers geöffnet, und aus Discretion sogleich wieder zugeschlossen haben würden, der ganze Begriff, den uns der Künstler durch sein An-
schlag-
H 2
Der kleine Pallaſt Farneſe.
einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For- men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.
Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag- zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ- tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je- der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung. Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus- drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.
Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge- ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi- guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht! Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs- zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An-
ſchlag-
H 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0139"n="115"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der kleine Pallaſt Farneſe.</hi></fw><lb/>
einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird<lb/>
das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man<lb/>
will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele<lb/>
zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For-<lb/>
men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.</p><lb/><p>Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf<lb/>
an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag-<lb/>
zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen<lb/>
ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran<lb/>
denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ-<lb/>
tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu<lb/>
zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je-<lb/>
der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung.<lb/>
Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus-<lb/>
drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.</p><lb/><p>Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge-<lb/>ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi-<lb/>
guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit<lb/>
allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche<lb/>
Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere<lb/>
Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der<lb/>
Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne<lb/>
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den<lb/>
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers<lb/>
hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und<lb/>
Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht!<lb/>
Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes<lb/>
mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn<lb/>
wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs-<lb/>
zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich<lb/>
wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze<lb/>
Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſchlag-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[115/0139]
Der kleine Pallaſt Farneſe.
einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird
das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man
will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele
zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For-
men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.
Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf
an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag-
zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen
ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran
denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ-
tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu
zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je-
der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung.
Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus-
drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.
Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge-
ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi-
guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit
allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche
Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere
Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der
Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers
hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und
Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht!
Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes
mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn
wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs-
zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich
wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze
Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An-
ſchlag-
H 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/139>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.