Der heilige Johannes in der Wüsten, völlig nackt, von Salvator Rosa. Wahr- scheinlich hat der Prinz Colonna über den heiligen Johannes des Salvator Rosa gedacht, wie die Magd beim Moliere über den Tartüff: Ich könnte sie nackt wie die Hand sehen, und sie würden mich nicht reizen. Denn er hat die Blöße dieser Figur nicht bedecken lassen. Zum Besten der Kunst wäre die Bekleidung dieser ekelhaften Blöße statt der des Busens der vorhin angezeigten Venus zu wünschen gewesen. Bilder von der Größe des gegenwärtigen sind von diesem Meister rar. Dies ist sein größtes Verdienst.
Eben dieses kann man von einem andern Bilde eben dieses Meisters sagen, das den hei- ligen Johannes in der Wüste predigend vor- stellt. Die Figuren auf selbigem gleichen einem Haufen von Lazaroni.
+ Die Mutter Gottes mit dem todtenMutter Got- tes mit dem todten Christ vom Guerci- no. Christ, eins der schönsten Bilder des Guercino, obgleich die Zusammensetzung sich nicht ganz rechtfer- tigen läßt. Der Leichnam Christi ist sitzend auf sei- nem Grabsteine abgebildet. Diese Stellung, die an und für sich selbst etwas Steifes hat, ist überher einem todten Körper unnatürlich oder wenigstens un- gewöhnlich. Die Mutter außer sich vor Schmerz, stürzt auf ihren Sohn zu, gleichsam als wollte sie auf ihn fallen. So wahr dieser Ausdruck des höch- sten Schmerzens und mütterlicher Innbrunst ist, er enthält eine sichtbare Unwahrscheinlichkeit; und ein Körper, den wir immer außer dem Gleichgewichte
sehen,
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Pallaſt Colonna.
Der heilige Johannes in der Wuͤſten, voͤllig nackt, von Salvator Roſa. Wahr- ſcheinlich hat der Prinz Colonna uͤber den heiligen Johannes des Salvator Roſa gedacht, wie die Magd beim Moliere uͤber den Tartuͤff: Ich koͤnnte ſie nackt wie die Hand ſehen, und ſie wuͤrden mich nicht reizen. Denn er hat die Bloͤße dieſer Figur nicht bedecken laſſen. Zum Beſten der Kunſt waͤre die Bekleidung dieſer ekelhaften Bloͤße ſtatt der des Buſens der vorhin angezeigten Venus zu wuͤnſchen geweſen. Bilder von der Groͤße des gegenwaͤrtigen ſind von dieſem Meiſter rar. Dies iſt ſein groͤßtes Verdienſt.
Eben dieſes kann man von einem andern Bilde eben dieſes Meiſters ſagen, das den hei- ligen Johannes in der Wuͤſte predigend vor- ſtellt. Die Figuren auf ſelbigem gleichen einem Haufen von Lazaroni.
† Die Mutter Gottes mit dem todtenMutter Got- tes mit dem todten Chriſt vom Guerci- no. Chriſt, eins der ſchoͤnſten Bilder des Guercino, obgleich die Zuſammenſetzung ſich nicht ganz rechtfer- tigen laͤßt. Der Leichnam Chriſti iſt ſitzend auf ſei- nem Grabſteine abgebildet. Dieſe Stellung, die an und fuͤr ſich ſelbſt etwas Steifes hat, iſt uͤberher einem todten Koͤrper unnatuͤrlich oder wenigſtens un- gewoͤhnlich. Die Mutter außer ſich vor Schmerz, ſtuͤrzt auf ihren Sohn zu, gleichſam als wollte ſie auf ihn fallen. So wahr dieſer Ausdruck des hoͤch- ſten Schmerzens und muͤtterlicher Innbrunſt iſt, er enthaͤlt eine ſichtbare Unwahrſcheinlichkeit; und ein Koͤrper, den wir immer außer dem Gleichgewichte
ſehen,
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Pallaſt Colonna.
Der heilige Johannes in der Wuͤſten,
voͤllig nackt, von Salvator Roſa. Wahr-
ſcheinlich hat der Prinz Colonna uͤber den heiligen
Johannes des Salvator Roſa gedacht, wie die
Magd beim Moliere uͤber den Tartuͤff: Ich koͤnnte
ſie nackt wie die Hand ſehen, und ſie wuͤrden mich
nicht reizen. Denn er hat die Bloͤße dieſer Figur
nicht bedecken laſſen. Zum Beſten der Kunſt waͤre
die Bekleidung dieſer ekelhaften Bloͤße ſtatt der des
Buſens der vorhin angezeigten Venus zu wuͤnſchen
geweſen. Bilder von der Groͤße des gegenwaͤrtigen
ſind von dieſem Meiſter rar. Dies iſt ſein groͤßtes
Verdienſt.
Eben dieſes kann man von einem andern
Bilde eben dieſes Meiſters ſagen, das den hei-
ligen Johannes in der Wuͤſte predigend vor-
ſtellt. Die Figuren auf ſelbigem gleichen einem
Haufen von Lazaroni.
† Die Mutter Gottes mit dem todten
Chriſt, eins der ſchoͤnſten Bilder des Guercino,
obgleich die Zuſammenſetzung ſich nicht ganz rechtfer-
tigen laͤßt. Der Leichnam Chriſti iſt ſitzend auf ſei-
nem Grabſteine abgebildet. Dieſe Stellung, die
an und fuͤr ſich ſelbſt etwas Steifes hat, iſt uͤberher
einem todten Koͤrper unnatuͤrlich oder wenigſtens un-
gewoͤhnlich. Die Mutter außer ſich vor Schmerz,
ſtuͤrzt auf ihren Sohn zu, gleichſam als wollte ſie
auf ihn fallen. So wahr dieſer Ausdruck des hoͤch-
ſten Schmerzens und muͤtterlicher Innbrunſt iſt, er
enthaͤlt eine ſichtbare Unwahrſcheinlichkeit; und ein
Koͤrper, den wir immer außer dem Gleichgewichte
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Mutter Got-
tes mit dem
todten Chriſt
vom Guerci-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/97>, abgerufen am 24.07.2024.
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