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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Colonna.

Vielleicht dürfte man in einer Kunst, deren
Hauptvorzug Ausdruck einer thätigen Seele ist, das
Ideal der Formen nicht treiben. Die Wahrschein-
lichkeit, auf die es bei Darstellung des Affekts am
meisten ankömmt, dürfte größer seyn, wenn die Ge-
stalt, die sie ausdrückt, uns mit Hülfe einzelner Er-
fahrungen begreiflich wird.

Man behauptet inzwischen, daß Guido die glück-
liche Vorstellungsart der Magdalenen, die er so häu-
fig wiederholt hat, nur dem häufigen Studio nach
dem Kopfe der Niobe zu danken habe. So bald
man dieser Behauptung die Erklärung giebt, daß
Guido Reni durch häufige Vergleichung der schönen
Natur mit dem schönen Originale in Stein, die Ver-
einigung von Wahrheit und Schönheit gefunden habe,
die wir in seinen Magdalenen Köpfen bewundern,
daß er dieser Niobe die Bildung seiner Ideen über-
haupt verdanket habe: wohl! ich trete bei. Soll
aber Guido Reni den Kopf der Niobe copirt, ihm
den Ausdruck abgeborgt, nichts weiter gethan haben,
als durch die Magie der Farben das Runde auf die
Fläche zu übertragen, so muß ich dieses leugnen.
Im Detail haben beide Köpfe der Niobe und der
Magdalena nichts Aehnliches als die Richtung des
Kopfs in die Höhe, und die Regelmäßigkeit der Züge
überhaupt. Niobe ist eine majestätische ernste Schön-
heit, mit dem Bewußtseyn ihres Werthes, und dem
Gefühl unverdienter Strafe: Magdalene die bekehrte
Sünderin, die schöne Büßende, die warmes ju-
gendliches Blut hat so gut als eine. An fühlbarer
Wahrheit des Ausdrucks ist Magdalene über Niobe
für uns nördliche Völker; an Schönheit der Ge-

stalt
Pallaſt Colonna.

Vielleicht duͤrfte man in einer Kunſt, deren
Hauptvorzug Ausdruck einer thaͤtigen Seele iſt, das
Ideal der Formen nicht treiben. Die Wahrſchein-
lichkeit, auf die es bei Darſtellung des Affekts am
meiſten ankoͤmmt, duͤrfte groͤßer ſeyn, wenn die Ge-
ſtalt, die ſie ausdruͤckt, uns mit Huͤlfe einzelner Er-
fahrungen begreiflich wird.

Man behauptet inzwiſchen, daß Guido die gluͤck-
liche Vorſtellungsart der Magdalenen, die er ſo haͤu-
fig wiederholt hat, nur dem haͤufigen Studio nach
dem Kopfe der Niobe zu danken habe. So bald
man dieſer Behauptung die Erklaͤrung giebt, daß
Guido Reni durch haͤufige Vergleichung der ſchoͤnen
Natur mit dem ſchoͤnen Originale in Stein, die Ver-
einigung von Wahrheit und Schoͤnheit gefunden habe,
die wir in ſeinen Magdalenen Koͤpfen bewundern,
daß er dieſer Niobe die Bildung ſeiner Ideen uͤber-
haupt verdanket habe: wohl! ich trete bei. Soll
aber Guido Reni den Kopf der Niobe copirt, ihm
den Ausdruck abgeborgt, nichts weiter gethan haben,
als durch die Magie der Farben das Runde auf die
Flaͤche zu uͤbertragen, ſo muß ich dieſes leugnen.
Im Detail haben beide Koͤpfe der Niobe und der
Magdalena nichts Aehnliches als die Richtung des
Kopfs in die Hoͤhe, und die Regelmaͤßigkeit der Zuͤge
uͤberhaupt. Niobe iſt eine majeſtaͤtiſche ernſte Schoͤn-
heit, mit dem Bewußtſeyn ihres Werthes, und dem
Gefuͤhl unverdienter Strafe: Magdalene die bekehrte
Suͤnderin, die ſchoͤne Buͤßende, die warmes ju-
gendliches Blut hat ſo gut als eine. An fuͤhlbarer
Wahrheit des Ausdrucks iſt Magdalene uͤber Niobe
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[68/0082] Pallaſt Colonna. Vielleicht duͤrfte man in einer Kunſt, deren Hauptvorzug Ausdruck einer thaͤtigen Seele iſt, das Ideal der Formen nicht treiben. Die Wahrſchein- lichkeit, auf die es bei Darſtellung des Affekts am meiſten ankoͤmmt, duͤrfte groͤßer ſeyn, wenn die Ge- ſtalt, die ſie ausdruͤckt, uns mit Huͤlfe einzelner Er- fahrungen begreiflich wird. Man behauptet inzwiſchen, daß Guido die gluͤck- liche Vorſtellungsart der Magdalenen, die er ſo haͤu- fig wiederholt hat, nur dem haͤufigen Studio nach dem Kopfe der Niobe zu danken habe. So bald man dieſer Behauptung die Erklaͤrung giebt, daß Guido Reni durch haͤufige Vergleichung der ſchoͤnen Natur mit dem ſchoͤnen Originale in Stein, die Ver- einigung von Wahrheit und Schoͤnheit gefunden habe, die wir in ſeinen Magdalenen Koͤpfen bewundern, daß er dieſer Niobe die Bildung ſeiner Ideen uͤber- haupt verdanket habe: wohl! ich trete bei. Soll aber Guido Reni den Kopf der Niobe copirt, ihm den Ausdruck abgeborgt, nichts weiter gethan haben, als durch die Magie der Farben das Runde auf die Flaͤche zu uͤbertragen, ſo muß ich dieſes leugnen. Im Detail haben beide Koͤpfe der Niobe und der Magdalena nichts Aehnliches als die Richtung des Kopfs in die Hoͤhe, und die Regelmaͤßigkeit der Zuͤge uͤberhaupt. Niobe iſt eine majeſtaͤtiſche ernſte Schoͤn- heit, mit dem Bewußtſeyn ihres Werthes, und dem Gefuͤhl unverdienter Strafe: Magdalene die bekehrte Suͤnderin, die ſchoͤne Buͤßende, die warmes ju- gendliches Blut hat ſo gut als eine. An fuͤhlbarer Wahrheit des Ausdrucks iſt Magdalene uͤber Niobe fuͤr uns noͤrdliche Voͤlker; an Schoͤnheit der Ge- ſtalt

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/82>, abgerufen am 25.11.2024.