Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Pallast Colonna.
Erfahrungen übertragen zu haben, die er aus der
Natur entlehnte.

Er nahm also seine Formen aus der Natur,
die ihm sein Vaterland zeigte, aber er gab sie mit
einem Zusatz seiner Einbildungskraft wieder: so wie
der Weinstock, den man aus nördlichen Ländern
nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte
Früchte trägt.

Correggio verdient nicht als Muster für dichteri-
che Empfindung aufgestellt zu werden. Er arbeitete
für Klöster und Kirchen. Die Süjets wurden ihm
aufgegeben: mehrestentheils waren es Versammlun-
gen von Heiligen.

Der Ausdruck, der ihm am besten glückte, war
der einer heiteren Ruhe und gefälliger Fröhlichkeit.
Zu dem Ausdruck starker Leidenschaft scheint sein Pin-
sel weniger geschickt gewesen zu seyn, nach den weni-
gen Versuchen dieser Art zu urtheilen, die uns von
diesem Meister übrig sind. Seine Grazie hat hin
und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An-
maaßung, gefallen zu wollen.

Von seiner Anordnung der Figuren, oder von
der eigentlichen mahlerischen Erfindung will ich
ganz zuletzt reden, wenn ich von seinem Hauptver-
dienst: dem Helldunkeln, werde gesprochen haben.

Jugendliche Figuren, vorzüglich Engel, sind
seine schönsten: Man erkennt seine Weiber an den
großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augäpfeln
wieder, an einer etwas breiten senkrechten Nase, und
an dem Munde, der zum Lächeln gezogen ist. Den
Figuren der Gottheit gab er eine gewisse idealische

Schön-

Pallaſt Colonna.
Erfahrungen uͤbertragen zu haben, die er aus der
Natur entlehnte.

Er nahm alſo ſeine Formen aus der Natur,
die ihm ſein Vaterland zeigte, aber er gab ſie mit
einem Zuſatz ſeiner Einbildungskraft wieder: ſo wie
der Weinſtock, den man aus noͤrdlichen Laͤndern
nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte
Fruͤchte traͤgt.

Correggio verdient nicht als Muſter fuͤr dichteri-
che Empfindung aufgeſtellt zu werden. Er arbeitete
fuͤr Kloͤſter und Kirchen. Die Suͤjets wurden ihm
aufgegeben: mehreſtentheils waren es Verſammlun-
gen von Heiligen.

Der Ausdruck, der ihm am beſten gluͤckte, war
der einer heiteren Ruhe und gefaͤlliger Froͤhlichkeit.
Zu dem Ausdruck ſtarker Leidenſchaft ſcheint ſein Pin-
ſel weniger geſchickt geweſen zu ſeyn, nach den weni-
gen Verſuchen dieſer Art zu urtheilen, die uns von
dieſem Meiſter uͤbrig ſind. Seine Grazie hat hin
und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An-
maaßung, gefallen zu wollen.

Von ſeiner Anordnung der Figuren, oder von
der eigentlichen mahleriſchen Erfindung will ich
ganz zuletzt reden, wenn ich von ſeinem Hauptver-
dienſt: dem Helldunkeln, werde geſprochen haben.

Jugendliche Figuren, vorzuͤglich Engel, ſind
ſeine ſchoͤnſten: Man erkennt ſeine Weiber an den
großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augaͤpfeln
wieder, an einer etwas breiten ſenkrechten Naſe, und
an dem Munde, der zum Laͤcheln gezogen iſt. Den
Figuren der Gottheit gab er eine gewiſſe idealiſche

Schoͤn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0104" n="90"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Palla&#x017F;t Colonna.</hi></fw><lb/>
Erfahrungen u&#x0364;bertragen zu haben, die er aus der<lb/>
Natur entlehnte.</p><lb/>
            <p>Er nahm al&#x017F;o &#x017F;eine Formen aus der Natur,<lb/>
die ihm &#x017F;ein Vaterland zeigte, aber er gab &#x017F;ie mit<lb/>
einem Zu&#x017F;atz &#x017F;einer Einbildungskraft wieder: &#x017F;o wie<lb/>
der Wein&#x017F;tock, den man aus no&#x0364;rdlichen La&#x0364;ndern<lb/>
nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte<lb/>
Fru&#x0364;chte tra&#x0364;gt.</p><lb/>
            <p>Correggio verdient nicht als Mu&#x017F;ter fu&#x0364;r dichteri-<lb/>
che Empfindung aufge&#x017F;tellt zu werden. Er arbeitete<lb/>
fu&#x0364;r Klo&#x0364;&#x017F;ter und Kirchen. Die Su&#x0364;jets wurden ihm<lb/>
aufgegeben: mehre&#x017F;tentheils waren es Ver&#x017F;ammlun-<lb/>
gen von Heiligen.</p><lb/>
            <p>Der Ausdruck, der ihm am be&#x017F;ten glu&#x0364;ckte, war<lb/>
der einer heiteren Ruhe und gefa&#x0364;lliger Fro&#x0364;hlichkeit.<lb/>
Zu dem Ausdruck &#x017F;tarker Leiden&#x017F;chaft &#x017F;cheint &#x017F;ein Pin-<lb/>
&#x017F;el weniger ge&#x017F;chickt gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn, nach den weni-<lb/>
gen Ver&#x017F;uchen die&#x017F;er Art zu urtheilen, die uns von<lb/>
die&#x017F;em Mei&#x017F;ter u&#x0364;brig &#x017F;ind. Seine Grazie hat hin<lb/>
und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An-<lb/>
maaßung, gefallen zu wollen.</p><lb/>
            <p>Von &#x017F;einer Anordnung der Figuren, oder von<lb/>
der eigentlichen mahleri&#x017F;chen Erfindung will ich<lb/>
ganz zuletzt reden, wenn ich von &#x017F;einem Hauptver-<lb/>
dien&#x017F;t: dem Helldunkeln, werde ge&#x017F;prochen haben.</p><lb/>
            <p>Jugendliche Figuren, vorzu&#x0364;glich Engel, &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten: Man erkennt &#x017F;eine Weiber an den<lb/>
großen mit hohen Augenliedern bedeckten Auga&#x0364;pfeln<lb/>
wieder, an einer etwas breiten &#x017F;enkrechten Na&#x017F;e, und<lb/>
an dem Munde, der zum La&#x0364;cheln gezogen i&#x017F;t. Den<lb/>
Figuren der Gottheit gab er eine gewi&#x017F;&#x017F;e ideali&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Scho&#x0364;n-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0104] Pallaſt Colonna. Erfahrungen uͤbertragen zu haben, die er aus der Natur entlehnte. Er nahm alſo ſeine Formen aus der Natur, die ihm ſein Vaterland zeigte, aber er gab ſie mit einem Zuſatz ſeiner Einbildungskraft wieder: ſo wie der Weinſtock, den man aus noͤrdlichen Laͤndern nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte Fruͤchte traͤgt. Correggio verdient nicht als Muſter fuͤr dichteri- che Empfindung aufgeſtellt zu werden. Er arbeitete fuͤr Kloͤſter und Kirchen. Die Suͤjets wurden ihm aufgegeben: mehreſtentheils waren es Verſammlun- gen von Heiligen. Der Ausdruck, der ihm am beſten gluͤckte, war der einer heiteren Ruhe und gefaͤlliger Froͤhlichkeit. Zu dem Ausdruck ſtarker Leidenſchaft ſcheint ſein Pin- ſel weniger geſchickt geweſen zu ſeyn, nach den weni- gen Verſuchen dieſer Art zu urtheilen, die uns von dieſem Meiſter uͤbrig ſind. Seine Grazie hat hin und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An- maaßung, gefallen zu wollen. Von ſeiner Anordnung der Figuren, oder von der eigentlichen mahleriſchen Erfindung will ich ganz zuletzt reden, wenn ich von ſeinem Hauptver- dienſt: dem Helldunkeln, werde geſprochen haben. Jugendliche Figuren, vorzuͤglich Engel, ſind ſeine ſchoͤnſten: Man erkennt ſeine Weiber an den großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augaͤpfeln wieder, an einer etwas breiten ſenkrechten Naſe, und an dem Munde, der zum Laͤcheln gezogen iſt. Den Figuren der Gottheit gab er eine gewiſſe idealiſche Schoͤn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/104
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/104>, abgerufen am 22.11.2024.