Erfahrungen übertragen zu haben, die er aus der Natur entlehnte.
Er nahm also seine Formen aus der Natur, die ihm sein Vaterland zeigte, aber er gab sie mit einem Zusatz seiner Einbildungskraft wieder: so wie der Weinstock, den man aus nördlichen Ländern nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte Früchte trägt.
Correggio verdient nicht als Muster für dichteri- che Empfindung aufgestellt zu werden. Er arbeitete für Klöster und Kirchen. Die Süjets wurden ihm aufgegeben: mehrestentheils waren es Versammlun- gen von Heiligen.
Der Ausdruck, der ihm am besten glückte, war der einer heiteren Ruhe und gefälliger Fröhlichkeit. Zu dem Ausdruck starker Leidenschaft scheint sein Pin- sel weniger geschickt gewesen zu seyn, nach den weni- gen Versuchen dieser Art zu urtheilen, die uns von diesem Meister übrig sind. Seine Grazie hat hin und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An- maaßung, gefallen zu wollen.
Von seiner Anordnung der Figuren, oder von der eigentlichen mahlerischen Erfindung will ich ganz zuletzt reden, wenn ich von seinem Hauptver- dienst: dem Helldunkeln, werde gesprochen haben.
Jugendliche Figuren, vorzüglich Engel, sind seine schönsten: Man erkennt seine Weiber an den großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augäpfeln wieder, an einer etwas breiten senkrechten Nase, und an dem Munde, der zum Lächeln gezogen ist. Den Figuren der Gottheit gab er eine gewisse idealische
Schön-
Pallaſt Colonna.
Erfahrungen uͤbertragen zu haben, die er aus der Natur entlehnte.
Er nahm alſo ſeine Formen aus der Natur, die ihm ſein Vaterland zeigte, aber er gab ſie mit einem Zuſatz ſeiner Einbildungskraft wieder: ſo wie der Weinſtock, den man aus noͤrdlichen Laͤndern nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte Fruͤchte traͤgt.
Correggio verdient nicht als Muſter fuͤr dichteri- che Empfindung aufgeſtellt zu werden. Er arbeitete fuͤr Kloͤſter und Kirchen. Die Suͤjets wurden ihm aufgegeben: mehreſtentheils waren es Verſammlun- gen von Heiligen.
Der Ausdruck, der ihm am beſten gluͤckte, war der einer heiteren Ruhe und gefaͤlliger Froͤhlichkeit. Zu dem Ausdruck ſtarker Leidenſchaft ſcheint ſein Pin- ſel weniger geſchickt geweſen zu ſeyn, nach den weni- gen Verſuchen dieſer Art zu urtheilen, die uns von dieſem Meiſter uͤbrig ſind. Seine Grazie hat hin und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An- maaßung, gefallen zu wollen.
Von ſeiner Anordnung der Figuren, oder von der eigentlichen mahleriſchen Erfindung will ich ganz zuletzt reden, wenn ich von ſeinem Hauptver- dienſt: dem Helldunkeln, werde geſprochen haben.
Jugendliche Figuren, vorzuͤglich Engel, ſind ſeine ſchoͤnſten: Man erkennt ſeine Weiber an den großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augaͤpfeln wieder, an einer etwas breiten ſenkrechten Naſe, und an dem Munde, der zum Laͤcheln gezogen iſt. Den Figuren der Gottheit gab er eine gewiſſe idealiſche
Schoͤn-
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Pallaſt Colonna.
Erfahrungen uͤbertragen zu haben, die er aus der
Natur entlehnte.
Er nahm alſo ſeine Formen aus der Natur,
die ihm ſein Vaterland zeigte, aber er gab ſie mit
einem Zuſatz ſeiner Einbildungskraft wieder: ſo wie
der Weinſtock, den man aus noͤrdlichen Laͤndern
nach heißeren Gegenden verpflanzt hat, dort veredelte
Fruͤchte traͤgt.
Correggio verdient nicht als Muſter fuͤr dichteri-
che Empfindung aufgeſtellt zu werden. Er arbeitete
fuͤr Kloͤſter und Kirchen. Die Suͤjets wurden ihm
aufgegeben: mehreſtentheils waren es Verſammlun-
gen von Heiligen.
Der Ausdruck, der ihm am beſten gluͤckte, war
der einer heiteren Ruhe und gefaͤlliger Froͤhlichkeit.
Zu dem Ausdruck ſtarker Leidenſchaft ſcheint ſein Pin-
ſel weniger geſchickt geweſen zu ſeyn, nach den weni-
gen Verſuchen dieſer Art zu urtheilen, die uns von
dieſem Meiſter uͤbrig ſind. Seine Grazie hat hin
und wieder etwas affektirtes, und zeigt zu viel An-
maaßung, gefallen zu wollen.
Von ſeiner Anordnung der Figuren, oder von
der eigentlichen mahleriſchen Erfindung will ich
ganz zuletzt reden, wenn ich von ſeinem Hauptver-
dienſt: dem Helldunkeln, werde geſprochen haben.
Jugendliche Figuren, vorzuͤglich Engel, ſind
ſeine ſchoͤnſten: Man erkennt ſeine Weiber an den
großen mit hohen Augenliedern bedeckten Augaͤpfeln
wieder, an einer etwas breiten ſenkrechten Naſe, und
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/104>, abgerufen am 03.07.2024.
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