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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Pallast Borghese.
geachtet je vermissen darf. Mit einem Worte, im
höchsten Lichte und im tiefsten Schatten muß ich die
Localfarbe immer deutlich wieder erkennen.

Die Art, wie die Römische und Florentinische
Schule darunter zu Werke ging, widersprach der Na-
tur. Sie mahlten jeden Gegenstand, als wenn die
Brechung der Lichtstrahlen auf jede Farbe nur einerlei
Veränderung hervorbrächte: sie höheten alles mit
Weiß, verdunkelten alles mit Schwarz. Dies ist
falsch. Jede Localfarbe, auch des einfachsten Ge-
wandes erfordert im Schatten und im Lichte einen Zu-
satz fremder, zuweilen, dem ersten Anschein nach,
ganz heterogener Farben. Allein hier sind die Neueren
wieder ausgeschweift. Um Abwechselung hervorzu-
bringen, sind sie oft bunt geworden, so daß ihre Lich-
ter und ihre Schatten wie aufgeheftete Lappen kostba-
rer Stoffe aussehen, während daß Raphaels und
Michael Angelos Gemählde wenigstens den Vorzug
wohlgetuschter Zeichnungen haben. Beides muß ver-
mieden werden. Blicke, Localfarbe, Halbschatten,
Drucker, Alles muß ein harmonisches Ganze ausma-
chen, das mir die Ueberzeugung gibt, es liege blos
an meiner Stellung, daß ich gewisse Stellen dunkler,
andere heller an Farbe sehe. Aber eben diese Blicke,
diese Halbschatten, diese Localfarben, diese Drucker
müssen auch so abwechselnd unter einander seyn, daß
ich die Verschiedenheit der Farbe eines Gegenstandes
von der Farbe eines andern, in jeder Modification des
Lichts und des Schattens, für sich betrachtet, wieder
erkenne. Vielleicht ist kein Mahler in der Welt dem
Tizian hierin gleich gekommen.

Die

Pallaſt Borgheſe.
geachtet je vermiſſen darf. Mit einem Worte, im
hoͤchſten Lichte und im tiefſten Schatten muß ich die
Localfarbe immer deutlich wieder erkennen.

Die Art, wie die Roͤmiſche und Florentiniſche
Schule darunter zu Werke ging, widerſprach der Na-
tur. Sie mahlten jeden Gegenſtand, als wenn die
Brechung der Lichtſtrahlen auf jede Farbe nur einerlei
Veraͤnderung hervorbraͤchte: ſie hoͤheten alles mit
Weiß, verdunkelten alles mit Schwarz. Dies iſt
falſch. Jede Localfarbe, auch des einfachſten Ge-
wandes erfordert im Schatten und im Lichte einen Zu-
ſatz fremder, zuweilen, dem erſten Anſchein nach,
ganz heterogener Farben. Allein hier ſind die Neueren
wieder ausgeſchweift. Um Abwechſelung hervorzu-
bringen, ſind ſie oft bunt geworden, ſo daß ihre Lich-
ter und ihre Schatten wie aufgeheftete Lappen koſtba-
rer Stoffe ausſehen, waͤhrend daß Raphaels und
Michael Angelos Gemaͤhlde wenigſtens den Vorzug
wohlgetuſchter Zeichnungen haben. Beides muß ver-
mieden werden. Blicke, Localfarbe, Halbſchatten,
Drucker, Alles muß ein harmoniſches Ganze ausma-
chen, das mir die Ueberzeugung gibt, es liege blos
an meiner Stellung, daß ich gewiſſe Stellen dunkler,
andere heller an Farbe ſehe. Aber eben dieſe Blicke,
dieſe Halbſchatten, dieſe Localfarben, dieſe Drucker
muͤſſen auch ſo abwechſelnd unter einander ſeyn, daß
ich die Verſchiedenheit der Farbe eines Gegenſtandes
von der Farbe eines andern, in jeder Modification des
Lichts und des Schattens, fuͤr ſich betrachtet, wieder
erkenne. Vielleicht iſt kein Mahler in der Welt dem
Tizian hierin gleich gekommen.

Die
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[274/0296] Pallaſt Borgheſe. geachtet je vermiſſen darf. Mit einem Worte, im hoͤchſten Lichte und im tiefſten Schatten muß ich die Localfarbe immer deutlich wieder erkennen. Die Art, wie die Roͤmiſche und Florentiniſche Schule darunter zu Werke ging, widerſprach der Na- tur. Sie mahlten jeden Gegenſtand, als wenn die Brechung der Lichtſtrahlen auf jede Farbe nur einerlei Veraͤnderung hervorbraͤchte: ſie hoͤheten alles mit Weiß, verdunkelten alles mit Schwarz. Dies iſt falſch. Jede Localfarbe, auch des einfachſten Ge- wandes erfordert im Schatten und im Lichte einen Zu- ſatz fremder, zuweilen, dem erſten Anſchein nach, ganz heterogener Farben. Allein hier ſind die Neueren wieder ausgeſchweift. Um Abwechſelung hervorzu- bringen, ſind ſie oft bunt geworden, ſo daß ihre Lich- ter und ihre Schatten wie aufgeheftete Lappen koſtba- rer Stoffe ausſehen, waͤhrend daß Raphaels und Michael Angelos Gemaͤhlde wenigſtens den Vorzug wohlgetuſchter Zeichnungen haben. Beides muß ver- mieden werden. Blicke, Localfarbe, Halbſchatten, Drucker, Alles muß ein harmoniſches Ganze ausma- chen, das mir die Ueberzeugung gibt, es liege blos an meiner Stellung, daß ich gewiſſe Stellen dunkler, andere heller an Farbe ſehe. Aber eben dieſe Blicke, dieſe Halbſchatten, dieſe Localfarben, dieſe Drucker muͤſſen auch ſo abwechſelnd unter einander ſeyn, daß ich die Verſchiedenheit der Farbe eines Gegenſtandes von der Farbe eines andern, in jeder Modification des Lichts und des Schattens, fuͤr ſich betrachtet, wieder erkenne. Vielleicht iſt kein Mahler in der Welt dem Tizian hierin gleich gekommen. Die

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/296>, abgerufen am 23.11.2024.