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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Das Capitol.

Inzwischen ist der Stil des Giorgione doch nur
Manier, Schein von Wahrheit, nicht die Wahrheit
selbst. Seine Färbung fällt im Lichte zu sehr in
brennende Röthe, und im Dunkeln zu sehr ins
Schwarze.

Man wird in seinen Gemählden oft Federbüsche
und Panzer finden. Es ist zuweilen gut, sich der-
gleichen Wiedererkennungszeichen zu merken.

Tintoretto.

Giacomo Robusti, il Tintoretto, genannt,
lebte von 1512 bis 1592 und war ein gebohrner
Venetianer.

Er lernte die Kunst unter Tizian: Aber bald
verfiel er darauf, die Vorzüge mehrerer Meister mit
einander vereinigen zu wollen. Er war einer der er-
sten Eclectiker in der Mahlerei. Er folgte dem Cor-
reggio in der Zusammensetzung und im Helldunkeln,
dem Michael Angelo in der Zeichnung, dem Tizian,
und vielleicht noch mehr dem Giorgione, im Colorit.
Was folgte daraus? Daß er den Schein ihrer Vor-
züge: Das Auffallende ihrer Werke in die seinigen
übertrug, und im Ganzen mittelmäßig blieb.

Tintoretto hatte einen großen Reichthum an
Ideen, und einen großen Mangel an Gefühl, und
Bildern. Er verstand vortrefflich die Züge, durch
die sich jede Sache unserer Erinnerung einprägt, aus-
zuwählen, und sie nach den Begriffen, welche die
größten Mahler unter seinen Vorgängern darüber ge-
habt hatten, zu reproduciren. Durch häufiges Stu-
dium hatte er sich ein Alphabet von Formen, von co-
lorirten Parthien, und erleuchteten Massen gebildet,
mit dem er seine Gedanken sehr deutlich aufschrieb.

Wir
Das Capitol.

Inzwiſchen iſt der Stil des Giorgione doch nur
Manier, Schein von Wahrheit, nicht die Wahrheit
ſelbſt. Seine Faͤrbung faͤllt im Lichte zu ſehr in
brennende Roͤthe, und im Dunkeln zu ſehr ins
Schwarze.

Man wird in ſeinen Gemaͤhlden oft Federbuͤſche
und Panzer finden. Es iſt zuweilen gut, ſich der-
gleichen Wiedererkennungszeichen zu merken.

Tintoretto.

Giacomo Robuſti, il Tintoretto, genannt,
lebte von 1512 bis 1592 und war ein gebohrner
Venetianer.

Er lernte die Kunſt unter Tizian: Aber bald
verfiel er darauf, die Vorzuͤge mehrerer Meiſter mit
einander vereinigen zu wollen. Er war einer der er-
ſten Eclectiker in der Mahlerei. Er folgte dem Cor-
reggio in der Zuſammenſetzung und im Helldunkeln,
dem Michael Angelo in der Zeichnung, dem Tizian,
und vielleicht noch mehr dem Giorgione, im Colorit.
Was folgte daraus? Daß er den Schein ihrer Vor-
zuͤge: Das Auffallende ihrer Werke in die ſeinigen
uͤbertrug, und im Ganzen mittelmaͤßig blieb.

Tintoretto hatte einen großen Reichthum an
Ideen, und einen großen Mangel an Gefuͤhl, und
Bildern. Er verſtand vortrefflich die Zuͤge, durch
die ſich jede Sache unſerer Erinnerung einpraͤgt, aus-
zuwaͤhlen, und ſie nach den Begriffen, welche die
groͤßten Mahler unter ſeinen Vorgaͤngern daruͤber ge-
habt hatten, zu reproduciren. Durch haͤufiges Stu-
dium hatte er ſich ein Alphabet von Formen, von co-
lorirten Parthien, und erleuchteten Maſſen gebildet,
mit dem er ſeine Gedanken ſehr deutlich aufſchrieb.

Wir
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[254/0276] Das Capitol. Inzwiſchen iſt der Stil des Giorgione doch nur Manier, Schein von Wahrheit, nicht die Wahrheit ſelbſt. Seine Faͤrbung faͤllt im Lichte zu ſehr in brennende Roͤthe, und im Dunkeln zu ſehr ins Schwarze. Man wird in ſeinen Gemaͤhlden oft Federbuͤſche und Panzer finden. Es iſt zuweilen gut, ſich der- gleichen Wiedererkennungszeichen zu merken. Giacomo Robuſti, il Tintoretto, genannt, lebte von 1512 bis 1592 und war ein gebohrner Venetianer. Er lernte die Kunſt unter Tizian: Aber bald verfiel er darauf, die Vorzuͤge mehrerer Meiſter mit einander vereinigen zu wollen. Er war einer der er- ſten Eclectiker in der Mahlerei. Er folgte dem Cor- reggio in der Zuſammenſetzung und im Helldunkeln, dem Michael Angelo in der Zeichnung, dem Tizian, und vielleicht noch mehr dem Giorgione, im Colorit. Was folgte daraus? Daß er den Schein ihrer Vor- zuͤge: Das Auffallende ihrer Werke in die ſeinigen uͤbertrug, und im Ganzen mittelmaͤßig blieb. Tintoretto hatte einen großen Reichthum an Ideen, und einen großen Mangel an Gefuͤhl, und Bildern. Er verſtand vortrefflich die Zuͤge, durch die ſich jede Sache unſerer Erinnerung einpraͤgt, aus- zuwaͤhlen, und ſie nach den Begriffen, welche die groͤßten Mahler unter ſeinen Vorgaͤngern daruͤber ge- habt hatten, zu reproduciren. Durch haͤufiges Stu- dium hatte er ſich ein Alphabet von Formen, von co- lorirten Parthien, und erleuchteten Maſſen gebildet, mit dem er ſeine Gedanken ſehr deutlich aufſchrieb. Wir

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/276>, abgerufen am 25.11.2024.