Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Vaticanische Pallast.
andere um uns liebenswerth macht. Aber um als
Held in den verwickelsten Lagen eines Staats dessen
Stütze mit Aufopferung der theuersten Verhältnisse zu
werden, müssen wir die Tugend mit Leidenschaft lie-
ben, wir müssen sie verkörpert sehen, ihr Glanz muß
in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das
nur unsern Verhältnissen, unsern Kräften, mit einem
Worte: uns gehört. So wie der Ton eines musi-
calischen Instruments den Geist eines Compositeurs in
eine Schwingung setzt, in der er ungehörte Töne aus
sich selbst hervorruft, so können große Beispiele im
Einzelnen zwar die Stimmung zur Größe nicht aber
ihre völlige Harmonie hervorbringen. Der Geist des
Alexanders belebte einen Cäsar, durch Nachahmung
seiner Thaten entstand nur ein Carl der Zwölfte.

Mengs sah das Schöne in den Werken der Alten
ein, er begriff es, und lieferte hier und dort glückliche
Nachbildungen schöner Gestalten: Raphael ward
durch ihren Anblick begeistert, er zündete, dem Pro-
metheus gleich, seine Fackel an dem himmlischen
Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von
Göttern hin, ihre Wärme belebte Menschen, seine
eigenen Geschöpfe.

Wahrnehmung des Guten und Schönen heißt im
Allgemeinen Geschmack. Aber in der Art der An-
wendung ist dessen Wesen sehr verschieden. Der eine
Mensch hat ihn durchs Gefühl, der andere hat ihn
durch Nachdenken: Der eine weiß die Gründe seines
Urtheils trefflich auseinander zu setzen, der andere
schafft statt aller Antwort. Es scheint daß bei dem
ersten die Vernunft im genaueren Verbande mit dem

Scharf-

Der Vaticaniſche Pallaſt.
andere um uns liebenswerth macht. Aber um als
Held in den verwickelſten Lagen eines Staats deſſen
Stuͤtze mit Aufopferung der theuerſten Verhaͤltniſſe zu
werden, muͤſſen wir die Tugend mit Leidenſchaft lie-
ben, wir muͤſſen ſie verkoͤrpert ſehen, ihr Glanz muß
in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das
nur unſern Verhaͤltniſſen, unſern Kraͤften, mit einem
Worte: uns gehoͤrt. So wie der Ton eines muſi-
caliſchen Inſtruments den Geiſt eines Compoſiteurs in
eine Schwingung ſetzt, in der er ungehoͤrte Toͤne aus
ſich ſelbſt hervorruft, ſo koͤnnen große Beiſpiele im
Einzelnen zwar die Stimmung zur Groͤße nicht aber
ihre voͤllige Harmonie hervorbringen. Der Geiſt des
Alexanders belebte einen Caͤſar, durch Nachahmung
ſeiner Thaten entſtand nur ein Carl der Zwoͤlfte.

Mengs ſah das Schoͤne in den Werken der Alten
ein, er begriff es, und lieferte hier und dort gluͤckliche
Nachbildungen ſchoͤner Geſtalten: Raphael ward
durch ihren Anblick begeiſtert, er zuͤndete, dem Pro-
metheus gleich, ſeine Fackel an dem himmliſchen
Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von
Goͤttern hin, ihre Waͤrme belebte Menſchen, ſeine
eigenen Geſchoͤpfe.

Wahrnehmung des Guten und Schoͤnen heißt im
Allgemeinen Geſchmack. Aber in der Art der An-
wendung iſt deſſen Weſen ſehr verſchieden. Der eine
Menſch hat ihn durchs Gefuͤhl, der andere hat ihn
durch Nachdenken: Der eine weiß die Gruͤnde ſeines
Urtheils trefflich auseinander zu ſetzen, der andere
ſchafft ſtatt aller Antwort. Es ſcheint daß bei dem
erſten die Vernunft im genaueren Verbande mit dem

Scharf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0208" n="186"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Vaticani&#x017F;che Palla&#x017F;t.</hi></fw><lb/>
andere um uns liebenswerth macht. Aber um als<lb/>
Held in den verwickel&#x017F;ten Lagen eines Staats de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Stu&#x0364;tze mit Aufopferung der theuer&#x017F;ten Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
werden, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir die Tugend mit Leiden&#x017F;chaft lie-<lb/>
ben, wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie verko&#x0364;rpert &#x017F;ehen, ihr Glanz muß<lb/>
in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das<lb/>
nur un&#x017F;ern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, un&#x017F;ern Kra&#x0364;ften, mit einem<lb/>
Worte: uns geho&#x0364;rt. So wie der Ton eines mu&#x017F;i-<lb/>
cali&#x017F;chen In&#x017F;truments den Gei&#x017F;t eines Compo&#x017F;iteurs in<lb/>
eine Schwingung &#x017F;etzt, in der er ungeho&#x0364;rte To&#x0364;ne aus<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hervorruft, &#x017F;o ko&#x0364;nnen große Bei&#x017F;piele im<lb/>
Einzelnen zwar die Stimmung zur Gro&#x0364;ße nicht aber<lb/>
ihre vo&#x0364;llige Harmonie hervorbringen. Der Gei&#x017F;t des<lb/>
Alexanders belebte einen Ca&#x0364;&#x017F;ar, durch Nachahmung<lb/>
&#x017F;einer Thaten ent&#x017F;tand nur ein Carl der Zwo&#x0364;lfte.</p><lb/>
            <p>Mengs &#x017F;ah das Scho&#x0364;ne in den Werken der Alten<lb/>
ein, er begriff es, und lieferte hier und dort glu&#x0364;ckliche<lb/>
Nachbildungen &#x017F;cho&#x0364;ner Ge&#x017F;talten: Raphael ward<lb/>
durch ihren Anblick begei&#x017F;tert, er zu&#x0364;ndete, dem Pro-<lb/>
metheus gleich, &#x017F;eine Fackel an dem himmli&#x017F;chen<lb/>
Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von<lb/>
Go&#x0364;ttern hin, ihre Wa&#x0364;rme belebte Men&#x017F;chen, &#x017F;eine<lb/>
eigenen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe.</p><lb/>
            <p>Wahrnehmung des Guten und Scho&#x0364;nen heißt im<lb/>
Allgemeinen Ge&#x017F;chmack. Aber in der Art der An-<lb/>
wendung i&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en We&#x017F;en &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden. Der eine<lb/>
Men&#x017F;ch hat ihn durchs Gefu&#x0364;hl, der andere hat ihn<lb/>
durch Nachdenken: Der eine weiß die Gru&#x0364;nde &#x017F;eines<lb/>
Urtheils trefflich auseinander zu &#x017F;etzen, der andere<lb/>
&#x017F;chafft &#x017F;tatt aller Antwort. Es &#x017F;cheint daß bei dem<lb/>
er&#x017F;ten die Vernunft im genaueren Verbande mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Scharf-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0208] Der Vaticaniſche Pallaſt. andere um uns liebenswerth macht. Aber um als Held in den verwickelſten Lagen eines Staats deſſen Stuͤtze mit Aufopferung der theuerſten Verhaͤltniſſe zu werden, muͤſſen wir die Tugend mit Leidenſchaft lie- ben, wir muͤſſen ſie verkoͤrpert ſehen, ihr Glanz muß in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das nur unſern Verhaͤltniſſen, unſern Kraͤften, mit einem Worte: uns gehoͤrt. So wie der Ton eines muſi- caliſchen Inſtruments den Geiſt eines Compoſiteurs in eine Schwingung ſetzt, in der er ungehoͤrte Toͤne aus ſich ſelbſt hervorruft, ſo koͤnnen große Beiſpiele im Einzelnen zwar die Stimmung zur Groͤße nicht aber ihre voͤllige Harmonie hervorbringen. Der Geiſt des Alexanders belebte einen Caͤſar, durch Nachahmung ſeiner Thaten entſtand nur ein Carl der Zwoͤlfte. Mengs ſah das Schoͤne in den Werken der Alten ein, er begriff es, und lieferte hier und dort gluͤckliche Nachbildungen ſchoͤner Geſtalten: Raphael ward durch ihren Anblick begeiſtert, er zuͤndete, dem Pro- metheus gleich, ſeine Fackel an dem himmliſchen Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von Goͤttern hin, ihre Waͤrme belebte Menſchen, ſeine eigenen Geſchoͤpfe. Wahrnehmung des Guten und Schoͤnen heißt im Allgemeinen Geſchmack. Aber in der Art der An- wendung iſt deſſen Weſen ſehr verſchieden. Der eine Menſch hat ihn durchs Gefuͤhl, der andere hat ihn durch Nachdenken: Der eine weiß die Gruͤnde ſeines Urtheils trefflich auseinander zu ſetzen, der andere ſchafft ſtatt aller Antwort. Es ſcheint daß bei dem erſten die Vernunft im genaueren Verbande mit dem Scharf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/208
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/208>, abgerufen am 02.05.2024.