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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abbitte
vor ihnen hat Leonore, welche alle Ausschweifun-
gen, alle lächerlichen Fehler, alle Thorheiten, die
sie von andern erzählt, selbst, und aus der Erfah-
rung sehr genau kennt. Niemand weis die klei-
nen Hahnreyhistorien so gut, wie sie, zu erzäh-
len; aber auch niemand weis so gut, wie sie, was
dazu gehört. Der Hochmuth ihrer Nachbarinn
ist für ihre Spötterey eine unerschöpfliche Qvelle:
Aber diese hochmüthige Nachbarinn hat ihr den
Rang streitig gemacht. Wollen sie Leonoren
recht lebhaft und beredt sehen, so bringen sie nur
selbige auf Henriettens Spielsucht; denn Henriette
hat ihr in voriger Woche zwanzig Ducaten abge-
wonnen. Die Frau Doctorinn ist ein eitler, lä-
cherlicher, und bettelstolzer Affe: Warum? Leo-
nore hat mirs gesagt; denn die Frau Doctorinn
hat ihr den reichen Stoff vorgekauft, mit dem sie
bey dem letzten Balle sich selbst ausputzen wollte.
Habe ich also nicht recht gesagt, daß Leonorens
Spöttereyen weit erbaulicher sind, als alle mora-
lische Tugendpredigten unsrer finstern Sittenrich-
ter, da Leonore alle Thorheiten selbst kennt, und
aus eigner Erfahrung über sie spottet? Aber Leo-
nore gewinnt bey diesen bittern Spöttereyen sehr
viel. Wenn sie mit dem Finger auf einen Tho-
ren weist, so sieht jedermann auf diesen Thoren,
und auf sie niemand. Wie ruhig kann nunmehr
Leonore ihre eignen Fehler genießen! Jch habe
schon oben gesagt, daß Leonore vornehmlich um
deßwillen so viel Böses von andern spricht, damit
sie ihren Witz zeigen könne: Es fällt mir gleich

ein,

Abbitte
vor ihnen hat Leonore, welche alle Ausſchweifun-
gen, alle laͤcherlichen Fehler, alle Thorheiten, die
ſie von andern erzaͤhlt, ſelbſt, und aus der Erfah-
rung ſehr genau kennt. Niemand weis die klei-
nen Hahnreyhiſtorien ſo gut, wie ſie, zu erzaͤh-
len; aber auch niemand weis ſo gut, wie ſie, was
dazu gehoͤrt. Der Hochmuth ihrer Nachbarinn
iſt fuͤr ihre Spoͤtterey eine unerſchoͤpfliche Qvelle:
Aber dieſe hochmuͤthige Nachbarinn hat ihr den
Rang ſtreitig gemacht. Wollen ſie Leonoren
recht lebhaft und beredt ſehen, ſo bringen ſie nur
ſelbige auf Henriettens Spielſucht; denn Henriette
hat ihr in voriger Woche zwanzig Ducaten abge-
wonnen. Die Frau Doctorinn iſt ein eitler, laͤ-
cherlicher, und bettelſtolzer Affe: Warum? Leo-
nore hat mirs geſagt; denn die Frau Doctorinn
hat ihr den reichen Stoff vorgekauft, mit dem ſie
bey dem letzten Balle ſich ſelbſt ausputzen wollte.
Habe ich alſo nicht recht geſagt, daß Leonorens
Spoͤttereyen weit erbaulicher ſind, als alle mora-
liſche Tugendpredigten unſrer finſtern Sittenrich-
ter, da Leonore alle Thorheiten ſelbſt kennt, und
aus eigner Erfahrung uͤber ſie ſpottet? Aber Leo-
nore gewinnt bey dieſen bittern Spoͤttereyen ſehr
viel. Wenn ſie mit dem Finger auf einen Tho-
ren weiſt, ſo ſieht jedermann auf dieſen Thoren,
und auf ſie niemand. Wie ruhig kann nunmehr
Leonore ihre eignen Fehler genießen! Jch habe
ſchon oben geſagt, daß Leonore vornehmlich um
deßwillen ſo viel Boͤſes von andern ſpricht, damit
ſie ihren Witz zeigen koͤnne: Es faͤllt mir gleich

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[586[584]/0608] Abbitte vor ihnen hat Leonore, welche alle Ausſchweifun- gen, alle laͤcherlichen Fehler, alle Thorheiten, die ſie von andern erzaͤhlt, ſelbſt, und aus der Erfah- rung ſehr genau kennt. Niemand weis die klei- nen Hahnreyhiſtorien ſo gut, wie ſie, zu erzaͤh- len; aber auch niemand weis ſo gut, wie ſie, was dazu gehoͤrt. Der Hochmuth ihrer Nachbarinn iſt fuͤr ihre Spoͤtterey eine unerſchoͤpfliche Qvelle: Aber dieſe hochmuͤthige Nachbarinn hat ihr den Rang ſtreitig gemacht. Wollen ſie Leonoren recht lebhaft und beredt ſehen, ſo bringen ſie nur ſelbige auf Henriettens Spielſucht; denn Henriette hat ihr in voriger Woche zwanzig Ducaten abge- wonnen. Die Frau Doctorinn iſt ein eitler, laͤ- cherlicher, und bettelſtolzer Affe: Warum? Leo- nore hat mirs geſagt; denn die Frau Doctorinn hat ihr den reichen Stoff vorgekauft, mit dem ſie bey dem letzten Balle ſich ſelbſt ausputzen wollte. Habe ich alſo nicht recht geſagt, daß Leonorens Spoͤttereyen weit erbaulicher ſind, als alle mora- liſche Tugendpredigten unſrer finſtern Sittenrich- ter, da Leonore alle Thorheiten ſelbſt kennt, und aus eigner Erfahrung uͤber ſie ſpottet? Aber Leo- nore gewinnt bey dieſen bittern Spoͤttereyen ſehr viel. Wenn ſie mit dem Finger auf einen Tho- ren weiſt, ſo ſieht jedermann auf dieſen Thoren, und auf ſie niemand. Wie ruhig kann nunmehr Leonore ihre eignen Fehler genießen! Jch habe ſchon oben geſagt, daß Leonore vornehmlich um deßwillen ſo viel Boͤſes von andern ſpricht, damit ſie ihren Witz zeigen koͤnne: Es faͤllt mir gleich ein,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 586[584]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/608>, abgerufen am 03.05.2024.