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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Erstes Buch.
möchten ihm diese Schönheit wieder nehmen, wel-
che so viele Tugenden verdrängt hätte: Aber die
Götter wollten ihn noch nicht hören, und der
Zauberer freute sich über seine Verwüstung.

Bey dem Pöbel hatte diese Verwandlung eine
ganz andre Wirkung. Er betete ihre Schönheit
an. Wenn sie nur die Lippen öffnete, so ward
sie bewundert, noch ehe sie redete. Sie redete
mit ihrem Papagoy, und was sie mit ihm redete,
war Weisheit. Unter diesem Pöbel waren viel
Dichter: Sie besungen ihre Schönheit, und die
Königinn spendete Reiß unter sie aus. An ge-
wissen feyerlichen Tagen theilte sie ein sparsames
Almosen unter die Armen der Stadt, um dem
Volke ihre weißen Hände zu zeigen: Man nannte
diesen eitlen Hochmuth, wohlthätige Tugend, denn
ihre Hände waren rund und wohl gemacht. Mit
einem Worte: Der Pöbel in Chiekock, der die
tugendhafteste Königinn verachtet hatte, weil sie
häßlich war, der vergötterte nunmehr ihre Schön-
heit, und hielt ihre Thorheiten für Tugend.

Der unglückliche Gemahl ward durch diese
Schönheit nicht verblendet. Er liebte sie noch:
aber weit zärtlicher liebte er sie damals, als sie,
zwar häßlich, aber tugendhaft war. Er brachte
die Stunden in ihrer Gesellschaft sehr misvergnügt
zu; denn gegen alle war sie freundlich, gefällig
und aufgeräumt, nur gegen ihren Gemahl nicht.
Gegen seine Liebkosungen war sie immer unem-

pfindlich
H h 3

Erſtes Buch.
moͤchten ihm dieſe Schoͤnheit wieder nehmen, wel-
che ſo viele Tugenden verdraͤngt haͤtte: Aber die
Goͤtter wollten ihn noch nicht hoͤren, und der
Zauberer freute ſich uͤber ſeine Verwuͤſtung.

Bey dem Poͤbel hatte dieſe Verwandlung eine
ganz andre Wirkung. Er betete ihre Schoͤnheit
an. Wenn ſie nur die Lippen oͤffnete, ſo ward
ſie bewundert, noch ehe ſie redete. Sie redete
mit ihrem Papagoy, und was ſie mit ihm redete,
war Weisheit. Unter dieſem Poͤbel waren viel
Dichter: Sie beſungen ihre Schoͤnheit, und die
Koͤniginn ſpendete Reiß unter ſie aus. An ge-
wiſſen feyerlichen Tagen theilte ſie ein ſparſames
Almoſen unter die Armen der Stadt, um dem
Volke ihre weißen Haͤnde zu zeigen: Man nannte
dieſen eitlen Hochmuth, wohlthaͤtige Tugend, denn
ihre Haͤnde waren rund und wohl gemacht. Mit
einem Worte: Der Poͤbel in Chiekock, der die
tugendhafteſte Koͤniginn verachtet hatte, weil ſie
haͤßlich war, der vergoͤtterte nunmehr ihre Schoͤn-
heit, und hielt ihre Thorheiten fuͤr Tugend.

Der ungluͤckliche Gemahl ward durch dieſe
Schoͤnheit nicht verblendet. Er liebte ſie noch:
aber weit zaͤrtlicher liebte er ſie damals, als ſie,
zwar haͤßlich, aber tugendhaft war. Er brachte
die Stunden in ihrer Geſellſchaft ſehr misvergnuͤgt
zu; denn gegen alle war ſie freundlich, gefaͤllig
und aufgeraͤumt, nur gegen ihren Gemahl nicht.
Gegen ſeine Liebkoſungen war ſie immer unem-

pfindlich
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[485[483]/0507] Erſtes Buch. moͤchten ihm dieſe Schoͤnheit wieder nehmen, wel- che ſo viele Tugenden verdraͤngt haͤtte: Aber die Goͤtter wollten ihn noch nicht hoͤren, und der Zauberer freute ſich uͤber ſeine Verwuͤſtung. Bey dem Poͤbel hatte dieſe Verwandlung eine ganz andre Wirkung. Er betete ihre Schoͤnheit an. Wenn ſie nur die Lippen oͤffnete, ſo ward ſie bewundert, noch ehe ſie redete. Sie redete mit ihrem Papagoy, und was ſie mit ihm redete, war Weisheit. Unter dieſem Poͤbel waren viel Dichter: Sie beſungen ihre Schoͤnheit, und die Koͤniginn ſpendete Reiß unter ſie aus. An ge- wiſſen feyerlichen Tagen theilte ſie ein ſparſames Almoſen unter die Armen der Stadt, um dem Volke ihre weißen Haͤnde zu zeigen: Man nannte dieſen eitlen Hochmuth, wohlthaͤtige Tugend, denn ihre Haͤnde waren rund und wohl gemacht. Mit einem Worte: Der Poͤbel in Chiekock, der die tugendhafteſte Koͤniginn verachtet hatte, weil ſie haͤßlich war, der vergoͤtterte nunmehr ihre Schoͤn- heit, und hielt ihre Thorheiten fuͤr Tugend. Der ungluͤckliche Gemahl ward durch dieſe Schoͤnheit nicht verblendet. Er liebte ſie noch: aber weit zaͤrtlicher liebte er ſie damals, als ſie, zwar haͤßlich, aber tugendhaft war. Er brachte die Stunden in ihrer Geſellſchaft ſehr misvergnuͤgt zu; denn gegen alle war ſie freundlich, gefaͤllig und aufgeraͤumt, nur gegen ihren Gemahl nicht. Gegen ſeine Liebkoſungen war ſie immer unem- pfindlich H h 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 485[483]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/507>, abgerufen am 23.11.2024.