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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Erstes Buch.
noch auf seinen Knieen, und zitterte vor Schwach-
heit. Sie sahe ihren Gemahl und die Umstehen-
den mit einer wilden Unordnung an, wie ein Kran-
ker, der von einem schweren Traum erwacht. End-
lich erblickte sie ihre eigne Gestalt in einem Spiegel.
Sie riß sich aus den Armen ihres Gemahls, drängte
sich durch die Bedienten des Hofs, und blieb einige
Minuten unbeweglich vor diesem Spiegel stehen.
Ja! ich bin es! rief sie mit einer ungemäßigten
Freude. Sie setzte sich vor dem Spiegel nieder,
zog ihre schwarzen Haarlocken durch die weiße Hand,
und bewunderte die Schönheit von beiden. Von
ungefähr lächelte sie, und sie fand dieses Lächeln
schön. Sie wiederholte es, und gab sich Mühe
auf verschiedne Art zu lächeln, um zu versuchen,
welches Lächeln eigentlich ihrem Munde, und ih-
ren Zähnen am vortheilhaftesten sey. Sie ward
nicht müde, ihre Augen zu betrachten. Jn einer
einzigen Minute machte sie die Blicke einer Zärt-
lichen, einer Spröden, einer Gebieterinn, einer
Schmachtenden, einer Traurigen, und tausend
Blicke, in welchen sich der Leichtsinn eines euro-
päischen Frauenzimmers vor dem Spiegel übt.
Mit einem Worte; sie buhlte mit sich selbst, und
fand endlich, daß die Blicke der Gebieterinn ihren
schwarzen Augen am anständigsten wären. Mit
dieser Miene wandte sie sich um, und erwartete
die Anbetung derer, die um sie waren. Jhr Ge-
mahl, welcher mit Erstaunen alle diese ungewohnten
Bewegungen an ihr wahrgenommen hatte, stund
ganz betrübt neben ihr, ohne von ihr gesehen zu

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Erſtes Buch.
noch auf ſeinen Knieen, und zitterte vor Schwach-
heit. Sie ſahe ihren Gemahl und die Umſtehen-
den mit einer wilden Unordnung an, wie ein Kran-
ker, der von einem ſchweren Traum erwacht. End-
lich erblickte ſie ihre eigne Geſtalt in einem Spiegel.
Sie riß ſich aus den Armen ihres Gemahls, draͤngte
ſich durch die Bedienten des Hofs, und blieb einige
Minuten unbeweglich vor dieſem Spiegel ſtehen.
Ja! ich bin es! rief ſie mit einer ungemaͤßigten
Freude. Sie ſetzte ſich vor dem Spiegel nieder,
zog ihre ſchwarzen Haarlocken durch die weiße Hand,
und bewunderte die Schoͤnheit von beiden. Von
ungefaͤhr laͤchelte ſie, und ſie fand dieſes Laͤcheln
ſchoͤn. Sie wiederholte es, und gab ſich Muͤhe
auf verſchiedne Art zu laͤcheln, um zu verſuchen,
welches Laͤcheln eigentlich ihrem Munde, und ih-
ren Zaͤhnen am vortheilhafteſten ſey. Sie ward
nicht muͤde, ihre Augen zu betrachten. Jn einer
einzigen Minute machte ſie die Blicke einer Zaͤrt-
lichen, einer Sproͤden, einer Gebieterinn, einer
Schmachtenden, einer Traurigen, und tauſend
Blicke, in welchen ſich der Leichtſinn eines euro-
paͤiſchen Frauenzimmers vor dem Spiegel uͤbt.
Mit einem Worte; ſie buhlte mit ſich ſelbſt, und
fand endlich, daß die Blicke der Gebieterinn ihren
ſchwarzen Augen am anſtaͤndigſten waͤren. Mit
dieſer Miene wandte ſie ſich um, und erwartete
die Anbetung derer, die um ſie waren. Jhr Ge-
mahl, welcher mit Erſtaunen alle dieſe ungewohnten
Bewegungen an ihr wahrgenommen hatte, ſtund
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[483[481]/0505] Erſtes Buch. noch auf ſeinen Knieen, und zitterte vor Schwach- heit. Sie ſahe ihren Gemahl und die Umſtehen- den mit einer wilden Unordnung an, wie ein Kran- ker, der von einem ſchweren Traum erwacht. End- lich erblickte ſie ihre eigne Geſtalt in einem Spiegel. Sie riß ſich aus den Armen ihres Gemahls, draͤngte ſich durch die Bedienten des Hofs, und blieb einige Minuten unbeweglich vor dieſem Spiegel ſtehen. Ja! ich bin es! rief ſie mit einer ungemaͤßigten Freude. Sie ſetzte ſich vor dem Spiegel nieder, zog ihre ſchwarzen Haarlocken durch die weiße Hand, und bewunderte die Schoͤnheit von beiden. Von ungefaͤhr laͤchelte ſie, und ſie fand dieſes Laͤcheln ſchoͤn. Sie wiederholte es, und gab ſich Muͤhe auf verſchiedne Art zu laͤcheln, um zu verſuchen, welches Laͤcheln eigentlich ihrem Munde, und ih- ren Zaͤhnen am vortheilhafteſten ſey. Sie ward nicht muͤde, ihre Augen zu betrachten. Jn einer einzigen Minute machte ſie die Blicke einer Zaͤrt- lichen, einer Sproͤden, einer Gebieterinn, einer Schmachtenden, einer Traurigen, und tauſend Blicke, in welchen ſich der Leichtſinn eines euro- paͤiſchen Frauenzimmers vor dem Spiegel uͤbt. Mit einem Worte; ſie buhlte mit ſich ſelbſt, und fand endlich, daß die Blicke der Gebieterinn ihren ſchwarzen Augen am anſtaͤndigſten waͤren. Mit dieſer Miene wandte ſie ſich um, und erwartete die Anbetung derer, die um ſie waren. Jhr Ge- mahl, welcher mit Erſtaunen alle dieſe ungewohnten Bewegungen an ihr wahrgenommen hatte, ſtund ganz betruͤbt neben ihr, ohne von ihr geſehen zu wer- H h 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 483[481]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/505>, abgerufen am 23.11.2024.