Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand.
Wenn irgends ein Sprüchwort ist, dessen Wahrheit durch die tägliche Erfahrung be- stätigt wird: so ist es dieses, wenn man sagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand. Da ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfassung meines Vaterlandes sehr genau kennen zu lernen: so getraue ich mir sehr wohl zu behaupten, daß wenigstens zwey Drittheile meiner Mitbürger ihren Verstand nicht eher erlangt ha- ben, als bis sie das Amt bekommen; und kaum ein Drittheil ist, ich weis nicht durch was für einen Zufall, vor der Erlangung des Amts mit Ver- stande begabt gewesen. Jch sage mit gutem Vor- bedachte: Kaum ein Drittheil. Denn ich muß noch für diejenigen ein wenig Platz lassen, welche die Ausnahme von dem Sprüchworte machen, und das Amt zwar seit langer Zeit, noch bis diese Stun- de aber nicht den geringsten Verstand haben.
Jch finde von unserm Sprüchworte verschie- dene Lesarten. Ein sehr altes Manuscript, wel- ches, wie ich aus verschiedenen Umständen vermu- the, zu Heinrich des Voglers Zeiten geschrieben worden, liest ausdrücklich: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er Verstand; und dieser Les- art habe ich mich bedienet. Die meisten der neuern
Schrift-
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand.
Wenn irgends ein Spruͤchwort iſt, deſſen Wahrheit durch die taͤgliche Erfahrung be- ſtaͤtigt wird: ſo iſt es dieſes, wenn man ſagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand. Da ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfaſſung meines Vaterlandes ſehr genau kennen zu lernen: ſo getraue ich mir ſehr wohl zu behaupten, daß wenigſtens zwey Drittheile meiner Mitbuͤrger ihren Verſtand nicht eher erlangt ha- ben, als bis ſie das Amt bekommen; und kaum ein Drittheil iſt, ich weis nicht durch was fuͤr einen Zufall, vor der Erlangung des Amts mit Ver- ſtande begabt geweſen. Jch ſage mit gutem Vor- bedachte: Kaum ein Drittheil. Denn ich muß noch fuͤr diejenigen ein wenig Platz laſſen, welche die Ausnahme von dem Spruͤchworte machen, und das Amt zwar ſeit langer Zeit, noch bis dieſe Stun- de aber nicht den geringſten Verſtand haben.
Jch finde von unſerm Spruͤchworte verſchie- dene Lesarten. Ein ſehr altes Manuſcript, wel- ches, wie ich aus verſchiedenen Umſtaͤnden vermu- the, zu Heinrich des Voglers Zeiten geſchrieben worden, lieſt ausdruͤcklich: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er Verſtand; und dieſer Les- art habe ich mich bedienet. Die meiſten der neuern
Schrift-
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Wem Gott ein Amt giebt, dem
giebt er auch den Verſtand.
Wenn irgends ein Spruͤchwort iſt, deſſen
Wahrheit durch die taͤgliche Erfahrung be-
ſtaͤtigt wird: ſo iſt es dieſes, wenn man ſagt:
Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch
den Verſtand. Da ich Gelegenheit gehabt habe,
die Verfaſſung meines Vaterlandes ſehr genau
kennen zu lernen: ſo getraue ich mir ſehr wohl zu
behaupten, daß wenigſtens zwey Drittheile meiner
Mitbuͤrger ihren Verſtand nicht eher erlangt ha-
ben, als bis ſie das Amt bekommen; und kaum
ein Drittheil iſt, ich weis nicht durch was fuͤr einen
Zufall, vor der Erlangung des Amts mit Ver-
ſtande begabt geweſen. Jch ſage mit gutem Vor-
bedachte: Kaum ein Drittheil. Denn ich muß
noch fuͤr diejenigen ein wenig Platz laſſen, welche
die Ausnahme von dem Spruͤchworte machen, und
das Amt zwar ſeit langer Zeit, noch bis dieſe Stun-
de aber nicht den geringſten Verſtand haben.
Jch finde von unſerm Spruͤchworte verſchie-
dene Lesarten. Ein ſehr altes Manuſcript, wel-
ches, wie ich aus verſchiedenen Umſtaͤnden vermu-
the, zu Heinrich des Voglers Zeiten geſchrieben
worden, lieſt ausdruͤcklich: Wem Gott ein Amt
giebt, dem giebt er Verſtand; und dieſer Les-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/49>, abgerufen am 24.11.2024.
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